Kalt ist der Abendhauch
Juwelierkästchen öffnet, tritt mir der Schweiß auf die Stirn.
»Das Eiserne Kreuz erster Klasse«, sagt Felix interessiert, »von wem?«
»Von meinem Mann«, sage ich und lege das Ding schnell wieder in sein Wattebett.
»Es sind so viele im Krieg gestorben«, meint Felix, mich naiv tröstend, als er sieht, daß ich ernst geworden bin.
»Das große Männersterben in unserer Familie setzte mit Alberts Selbstmord ein«, sage ich. »Vater starb vier Jahre später. Meinen Bruder Heiner erwischte es 1939 bei Kriegsanfang. Er hat als Wehrberichterstatter am Polenfeldzug teilgenommen. Mein ältester Bruder durfte zwar anfangs seinen Hof weiter bewirtschaften, da er als unentbehrlich galt. Später wurden seiner Frau polnische Zwangsarbeiter für die Landwirtschaft zugeteilt. Ernst Ludwig fiel 1942 bei Sewastopol.«
Felix deutet auf das Kästchen. »Und dein Mann?«
»Im Sommer 1943 am Dnjepr. Ich bekam einen Brief, in dem etwas von einem heldenhaften Verteidigungskampf stand, später schickte man mir diesen Orden, eine posthume Ehrung.«
»Also scheint nur ein gewisser zäher Hugo überlebt zu haben?« fragt mein Enkel und versucht, mich mit diesem Scherz von der traurigen Vergangenheit abzulenken.
»Hugo kam noch einmal davon, das heißt, er verlor zwei Finger der linken Hand. Außerdem geriet er 1944 in französische Kriegsgefangenschaft. Verglichen mit vielen anderen hat er großes Glück gehabt.«
»Und du anscheinend auch, beste aller Grandmas.«
Er geht wieder in die Küche, die schließlich fertig werden muß. Mir fällt siedendheiß ein, daß ich vielleicht zuviel verraten habe.
Am Nachmittag wende ich mich mit einer Bitte an die beiden Mädchen. »Können Sie mich in die Stadt fahren?«
»Wenn mir Max seinen Wagen leiht, sicherlich«, sagt Susi, »aber vielleicht sollten wir Ihnen Ihre Besorgungen abnehmen?«
Ich muß zum Friseur, aber zuvor möchte ich mir ein neues Kleid kaufen, und die Studentinnen sollen mich beraten. Bei aller Liebe ist Felix dafür ungeeignet.
Von Ida war Hugo Eleganz gewöhnt, außerdem hatte er immer eine Schwäche für gutgekleidete Frauen. Tanja sagt: »Ich finde Sie eigentlich so lustig in Ihrem Jogginganzug, daß ich an Ihrer Stelle nichts anderes...«
Und Susi meint: »Felix hat erzählt, daß Sie früher öfter in Amerika waren, dort haben Sie wahrscheinlich gesehen, wie die Senioren auf Konventionen pfeifen.«
Schmeißt doch nicht wieder alles durcheinander, möchte ich einwenden, drüben gibt es genauso viele Spießer wie hier, ein Trainingsanzug hat nichts damit zu tun. »Für gewisse Gelegenheiten habe ich nichts Passendes«, sage ich damenhaft. »Außerdem kenne ich mich in der jetzigen Mode nicht mehr aus, es wäre mir eine große Hilfe, wenn Sie mir ganz ehrlich einen Tip geben, was mir steht und was unmöglich ist.«
»Tanja, das machst besser du«, sagt Susi. »Ich trage immer nur Jeans.«
Schließlich fahre ich mit Tanja los. Kaum sitzen wir im Auto, fängt sie an zu rauchen und fragt mich, ob ich an ihrer Stelle einen 27 Jahre älteren Mann heiraten würde.
»Nein«, sage ich, »warum auch?«
»Aus Liebe«, antwortet sie etwas verlegen.
»Wieso fragen Sie mich? Wenn Sie es bereits vorhaben, werden Sie auf meinen Rat pfeifen.«
Sie errötet. »Ich dachte, Sie wären frei von Vorurteilen«, behauptet sie.
»Das ist niemand. Ist er wenigstens reich?« frage ich böse.
Tanja heult los. »Er ist geschieden, verdient gut, hat aber eine Frau und drei Kinder zu ernähren.«
Ich kenne diesen Mann nicht, wieso soll ausgerechnet ich wissen, ob er bloß nach jungem Fleisch giert, wie zu vermuten ist.
»Ich habe selbst viel falsch gemacht«, sage ich, »aber fremde Erfahrungen können bekanntlich wenig helfen. Außerdem gibt es keine Märchenprinzen, alle Menschen haben tückische Abgründe.«
Sie hat sich wieder gefaßt, und wir gehen Kleider anprobieren. Es ist mir eine Qual, mich in einer engen Kabine ständig aus- und anzuziehen, Tanja schleppt unermüdlich neue Sachen an und schafft unpassende weg. Es wäre allzu demütigend, sie darum zu bitten, mir in die Ärmel zu helfen, also mühe ich mich ohne Beistand damit ab - wie ein plumper Käfer im Spinnennetz. Durch den Vorhang sehe ich, wie die Verkäuferin mit Tanja einen verschwörerischen Blick wechselt. Ich habe keine richtige Konfektionsgröße mehr - die Kleider sind am Busen zu weit, in der Taille zu eng, im ganzen entweder zu lang oder zu kurz, zum Verzweifeln.
Zwischendurch erscheint eine
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