Kalt kommt der Tod (German Edition)

und wollte hinauslaufen.
    »Warte!«, rief Elmgreen hinter ihm her. »Magnus Gahr hat sie hergebracht, ein Trapper. Ich habe ihm vor neun Jahren eines der Fanggebiete zugeteilt, die auf Spitzbergen für professionelle Jäger reserviert sind. In seinem Revier befand sich der Platz, wo Carolin und ihre Gruppe das Lager aufgeschlagen haben. Magnus jagt Polarfüchse. Auf seiner täglichen Fallenroute ist er praktisch über sie gestolpert. Der genaue Hergang ist noch unklar, aber wie es aussieht, ist ein Eisbär über sie hergefallen. Magnus hat zunächst nur den Arm einer roten Jacke gesehen, der zum größten Teil vom Schnee zugedeckt war. Der Stoff war zerfetzt und von der Jacke abgerissen. Ein paar Schritte weiter, hinter einem Felsen, hat er sie dann gefunden.
    »Du redest, als ob sie tot ist«, sagte Vollmer.
    Eine Neonröhre fing an zu stottern. Sie sonderte knisternde Töne ab, die durch den kleinen Raum schwirrten.
    »Magnus ist ein harter Bursche, wie ihr gleich sehen werdet. Er hat den Tod schon oft gesehen. Der Tod ist sein Geschäft, trotzdem hat ihn der Anblick der Frau zutiefst erschüttert, sagt Ingrid.«
    In Kokina regte sich Interesse.
    »Ein Ärmel. Eine Leiche. Was ist passiert?«, fragte er.
    Vollmer nickte. »Ja, was ist passiert?«
    Elmgreen nahm seine Jacke vom Haken und zog sie sich schwerfällig an.
    »Es wäre hilfreich, wenn wir die Frau zweifelsfrei identifizieren könnten«, sagte er. »Würdet ihr mich begleiten?«
    Vollmer stand wie angewurzelt da.
    »Wir können«, sagte der Sysselmann schnell, »damit auch warten, bis man sie ins Krankenhaus gebracht hat.«
    »Warum ist sie nicht längst dort?«, fragte Kokina.
    Elmgreen zog die Schultern hoch.
    »Magnus Gahr ist ein wunderlicher Kauz«, erklärte er, »mit einem eigenen Kopf. Gelegentlich kommt er in die Stadt, um Vorräte einzukaufen. Wenn er zu trinken anfängt, gibt es jedes Mal Ärger. Meistens sind wir rechtzeitig zur Stelle, bevor er seine Fäuste fliegen lässt, aber einige Male kamen wir auch zu spät. Fremden gegenüber ist er reserviert, am besten lasst ihr mich mit ihm reden.«
    »Wir sollten Packer informieren«, sagte Kokina zu Vollmer. »Was hier los ist, wird ihn sicher interessieren.«
    »Das kann warten«, entschied Vollmer.
    Kokina schüttelte seinen riesigen Schädel.
    »Ich will keinen Ärger. Er ist der Boss. Können Sie das für uns erledigen?«, fragte er Elmgreen. »Er müsste noch in der Universität sein, beim Direktor.«
    Elmgreen nahm den Hörer und wechselte ein paar schnelle Sätze mit seinem Gesprächspartner auf der anderen Seite.
    »Sie kommen rüber«, sagte er und legte den Hörer auf.
    35
    Draußen herrschte eine nervöse Stimmung. Im Licht der Lampen umringte eine dichte Gruppe ein blaues Skidoo und den angehängten Langschlitten. Alle standen da, mit Atemwölkchen vor dem Mund, als würden sie eine seltsame Andacht halten. Die Gruppe öffnete murmelnd eine Schneise, um den Sysselmann und seine Begleiter durchzulassen.
    Direkt neben dem Schlitten sprach Ingrid Yitterdal mit dem Trapper und schrieb in ihr Notizbuch, so gut das mit Handschuhen über den Fingern ging.
    Magnus Gahr steckte in einem grünen Doppeldaunenoverall und schmutzstarrenden Stiefeln. Als er den Kopf hob, kam unter der Ohrenklappenmütze ein knorriges Gesicht zum Vorschein. In seinem dichten Bart und seinen Augenbrauen glitzerten Eiskristalle. Stoßweise drang weißer Atem aus seinem Mund, als würde er nur schwer Luft bekommen. Eine Wolke tranigen Geruchs umgab ihn.
    An beiden Seiten des Schlittens hingen geräumige wasserdichte Packtaschen, in denen er die toten Polarfüchse verstaute, die er in seinen Fallen fing. Eine nasse schwarze Plane bedeckte die ganze Länge des Schlittens und beulte sich an mehreren Stellen aus.
    »Willst du sie sehen?«, fragte der Trapper den Sysselmann und wollte die Plane aufschnüren.
    »Warte noch damit«, erwiderte Elmgreen.
    Er schickte die Gaffer nach Hause, alle, die nicht zu seiner Behörde gehörten. Kläffend trieb er sie zur Eile an. Langsam, ohne Hast, setzte sich die Menge in Bewegung und zerstreute sich nur widerwillig. Ein paar verdammt Neugierige blieben in einiger Entfernung stehen, um zu sehen, was weiter geschah.
    Elmgreen trat an den Schlitten und bedeutete dem Trapper, die Plane jetzt aufzuschlagen. Magnus löste die Knoten der Nylonbänder, klappte die Plane an zwei Ecken hoch und zog sie über das hinweg, was nun zum Vorschein kam:
    Knochen
    Haut
    Fleisch
    Haare
    und