Kalt wie ein Brilliant
Louise Lamont an sich zu fesseln. Wahrscheinlich brachte er es um diesen
Preis auch fertig, zwei Imitationen des Diadems anzufertigen. Ich nahm mir vor,
in einer Stunde noch einmal bei Willie vorbeizugehen und ihn diesmal nicht zu
schonen, mochte er nun eine Virusgrippe gehabt haben oder nicht. Das Telefon
schrillte und unterbrach meine Gedanken.
»Mr. Boyd?« flüsterte es aus
der Muschel.
»Höchstpersönlich. Wer ist denn
dort?«
»Patty Lamont !«
Die Stimme klang irgendwie unheimlich, und mir sträubten sich unwillkürlich die
Haare. »Ich muß Sie unbedingt sprechen, Mr. Boyd, und zwar sofort. Könnten Sie
gleich in meine Wohnung kommen? Die Adresse haben Sie ja.«
»Das schon«, versuchte ich
auszuweichen, »aber ich muß noch einen Besuch machen, Miss Lamont, der sehr
wichtig ist. Vielleicht können wir unsere Unterredung auf morgen
vormittag verschieben?«
»Nein!« schrie sie auf. »Es muß
sofort sein. Diese Minute noch! Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren! Bitte,
glauben Sie mir, es geht um Leben oder Tod.«
»Was ist denn geschehen? Sind
Sie krank?« fragte ich.
»Ich kann Ihnen jetzt nichts
weiter sagen.« Sie war ganz hysterisch vor Aufregung. »Aber Sie müssen kommen!
Sofort!« Damit war die Leitung tot.
Ich legte nachdenklich den
Hörer auf die Gabel. Das sieht Patty Lamont ähnlich,
dachte ich. Dann erinnerte ich mich an Machins Worte:
»Sie ist untröstlich«, hatte er gesagt. Und: »Die beiden Schwestern waren
beinahe unzertrennlich!« Es blieb mir also wohl nichts anderes übrig, als mich
bei Patty sehen zu lassen, wenn sie wahrscheinlich auch nur viel Lärm um nichts
machte. Der Besuch bei Willie Byers würde wohl noch ein paar Stunden Zeit
haben.
6
Die Tür zu Patty Lamonts Wohnung stand halb offen, aber höflich, wie ich nun
einmal bin, drückte ich auf den Klingelknopf und wartete.
»Mr. Boyd?« ließ sich Pattys
Stimme von drinnen vernehmen.
»Ja, ich bin’s!«
»Bitte, kommen Sie herein. Die
Tür steht offen!« Ihre Stimme kippte über vor Erregung. Ich schob die Tür etwas
weiter auf und trat über die Schwelle. In diesem Augenblick rammte mich ein
Zentnergewicht, das ich für einen wildgewordenen Lastwagen hielt, und warf mich
zu Boden. Bevor ich halbwegs wieder zu mir gekommen war, wendete der
Sechstonner und fuhr mit seiner Kühlerhaube in meine Rippen, so daß ich wie ein
Stück Holz über den Teppich kollerte. Dann machte er direkt auf meinem
Brustkasten halt. Stahlharte Finger rissen meine Jacke auf, betasteten mich am
ganzen Körper und durchwühlten alle meine Taschen. Dann klopften sie meine
Beine ab, als sei ich aus karrarischem Marmor und sollte zu einem Standbild
verarbeitet werden. Hoffentlich hat sich jemand die Wagennummer aufgeschrieben,
dachte ich betäubt. In diesem Augenblick wich das Zentnergewicht von meiner
Brust.
»Der Kerl hat nichts, Marty«,
krächzte eine Stimme wie ein verrostetes Fabriktor.
Ich setzte mich hastig auf, was
ich gleich darauf bereute, denn das Zimmer begann sich in einem wilden Wirbel
um mich zu drehen. Als das verrückte Karussell endlich zum Stehen gekommen war,
konnte ich die beiden Männer genauer betrachten, die neben mir standen und mich
feindselig anstarrten. Den einen kannte ich. Es war der vermeintliche
Lastwagen, mein alter Freund Pete. Den anderen hatte ich noch nie gesehen.
Dieser zweite Mann war etwa
mittelgroß, aber so dürr, daß er größer wirkte. Sein eingefallenes Gesicht mit
den hohlen Wangen und blutleeren Lippen sah aus wie ein Lehrbeispiel für
schwere Unterernährung. Die tiefliegenden Augen waren blaßblau und kalt, als hätte er sie aus einer Glasaugenfabrik entliehen. Auf seinem Kopf
flammte rostrotes, drahtiges Haar, was den Gesamteindruck nicht gerade hob.
Selbst bei wohlwollendster Betrachtung dieses
Zeitgenossen mußte man unwillkürlich zu dem Schluß kommen, daß der Arzt
bestimmt hatte, diese Mißgeburt sofort zu ertränken,
daß aber aus irgendeinem Grunde diese Anordnung übersehen worden war.
»Wie gefällt dir diese
Kostprobe, Kumpel?« fragte Pete fröhlich. »Aber das ist nur der Anfang! Warte
nur, bis wir dich richtig in der Mache haben!«
Während ich mich mühsam
aufrappelte, bemerkte ich Patty Lamont , die auf der
Couch saß und mich mit angstgeweiteten Augen betrachtete. »Es tut mir
schrecklich leid, Mr. Boyd«, flüsterte sie. »Die beiden haben sich einfach hier
hereingedrängt und haben mich gezwungen, Sie anzurufen. Ich habe mich
geweigert, aber der Dicke hat
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