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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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der Tapete ordneten sich, und die ungebrochene Linie der Ecke wurde wieder vom Boden zur Decke sichtbar, ohne ein einziges Zick oder Zack. Was Jilly wie durch ein achtseitiges Prisma gesehen hatte, sah sie nun unverzerrt.
    Als sie auf den Punkt blickte, an dem Shep noch immer etwas zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten schien, glaubte Jilly zu sehen, dass die Luft sich wie eine dünne Plastikfolie kräuselte.
    Dann öffnete Shep die bleichen Finger und ließ das seltsame Gewebe los, das er gehalten hatte.
    Selbst von der Seite konnte Jilly sehen, wie Sheps grüne Augen sich trübten. Statt der unendlichen Tiefe, die in seinem Blick gelegen hatte, trat nun eine Flachheit hinein und statt der Freude … Melancholie.
    » Gut «, sagte Dylan erleichtert. » Danke, Shep. Das war ganz prima. Das war ausgezeichnet. «
    Jilly ließ Sheps Hand los, die er daraufhin langsam herabsinken ließ. Auch Kopf und Schultern ließ Shep hängen. Er starrte auf den Boden, als hätte er nach einem kurzen Augenblick der Freiheit wieder die Bürde seines Autismus auf die Schultern geladen.

2 8
    Dylan holte den zweiten Stuhl von dem Tischchen am Fenster, und dann saßen die drei im Halbkreis am Schreibtisch vor dem Laptop. Shepherd war in der Mitte postiert, wo man ihn besser beobachten konnte.
    Shep hatte das Kinn wieder auf die Brust gesenkt, und die Hände lagen nach oben gewandt auf dem Schoß. Er sah aus, als betrachtete er seine Handlinien: die Herzlinie, die Kopflinie, die Lebenslinie – und die vielen aussagekräftigen Linien, die aus dem Gewebe zwischen Daumen und Zeigefinger ausstrahlten.
    Jillys Mutter beschäftigte sich mit Handlesen, nicht des Geldes, sondern der Hoffnung wegen. Sie war nie bloß an Herzlinie, Kopflinie und Lebenslinie interessiert, sondern gleichermaßen an den Bereichen zwischen den Fingern, am Handballen, am Daumenballen und am Kleinfingerballen.
    Jilly hatte die Arme über der Brust gekreuzt und die geballten Fäuste in die Achselhöhlen gesteckt. Sie mochte es nicht, wenn man ihr aus der Hand las.
    Handlesen, das Deuten von Teeblättern oder Tarotkarten, Horoskope – mit dergleichen wollte Jilly nichts zu tun haben. Sie würde ihre Zukunft nie dem Schicksal überlassen, nicht einen Augenblick. Wenn das Schicksal sie unter seine Herrschaft zwingen wollte, würde es sie bewusstlos schlagen müssen, um die Herrschaft an sich reißen zu können.
    » Nanomaschinen «, sagte Jilly, um Dylan zu erinnern, wobei sie unterbrochen worden waren, » die Ablagerungen von Arterienwänden kratzen und winzige Gruppen von Krebszellen aufspüren. «
    Dylan warf einen besorgten Blick auf Shepherd, dann nickte er und sah Jilly in die Augen. » Du hast also verstanden, wo rum es geht. In dem Interview da auf dem Bildschirm sagt Proctor allerhand über Nanomaschinen, die gleichzeitig Nanocomputer sein werden. Sie sollen genug Speicherkapazität haben, um für allerhand ziemlich komplizierte Aufgaben programmiert zu werden. «
    Obgleich sie alle drei der lebende Beweis dafür zu sein schienen, dass Lincoln Proctor kein Narr war, fand Jilly die Existenz solcher technologischen Wunder fast so schwer zu akzeptieren wie Shepherds Fähigkeit zu falten. Vielleicht wollte sie so etwas auch nicht akzeptieren, weil die Folgerungen derart schaurig waren.
    » Ist das nicht lächerlich? «, sagte sie. » Mal ehrlich, wie viel Speicher kann man denn in einen Computer stopfen, der kleiner als ein Sandkorn ist? «
    » Sogar kleiner als ein Stäubchen. Proctor erklärt es folgendermaßen: Die ersten Mikrochips aus Silikon waren so groß wie ein Fingernagel und wiesen eine Million Schaltelemente auf. Das kleinste Element auf einem Chip war ein Hundertstel so breit wie ein menschliches Haar. «
    » Eigentlich will ich bloß wissen, wie ich mein Publikum zum Lachen bringen kann, bis es platzt «, sagte Jilly.
    » Dann kam es zu einem Durchbruch in der … Röntgenlithographie. So heißt es jedenfalls, glaube ich. «
    » Von mir aus kann es Lirumlarum oder Larifari heißen, damit kann ich genauso viel anfangen. «
    » Mag sein, aber durch so eine Larifari-Erfindung ist es irgendwann möglich geworden, auf einem Chip eine Milliarde Schaltelemente unterzubringen, die nur noch ein Tausendstel so breit wie ein menschliches Haar waren. Später waren es zwei Milliarden, und das ist jetzt auch schon wieder ein paar Jahre her. «
    » Okay, aber während diese ganzen Forschergenies ihre tollen Durchbrüche erzielt haben, habe ich mir einhundertachtzehn

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