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Kalt

Kalt

Titel: Kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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könnte ich, glaube ich, nicht so tapfer sein. Nein, ich weiß, dass ich das nicht könnte. Sich jeden Tag so anzustrengen, das ist so tapfer wie alles, was irgendwelche Helden in Filmen je getan haben. «
    Während er Jilly lauschte, hörte Dylan irgendwann auf, nervöse Blicke auf die Tür und seine Armbanduhr zu werfen. Er hatte entdeckt, dass das Gesicht und die melodische Stimme dieser Frau ihn mehr gefangen nahmen als der Gedanke an die Berufskiller, die sich von allen Seiten zu nähern schienen.
    » Schatz, du musst jetzt so tapfer sein, wie du nur sein kannst. Du darfst dir keine Sorgen wegen bösen Typen machen, darfst nicht an schleimig-blutig denken. Tu einfach, was getan werden muss, so wie du jeden Morgen aufstehst un d d uschst und tust, was getan werden muss, um die Welt so ordentlich und so einfach zu machen, wie es irgend geht. Schatz, du musst ganz tapfer sein und uns zu unserem Zimmer zurückfalten! «
    » Shep ist tapfer? «
    » Ja. Shep ist tapfer. «
    » Keine Goldfischli, kein Pinkeln, kein Falten «, sagte Shep, aber die Augen hinter den geschlossenen Lidern blieben ruhig. Offenbar beunruhigte ihn das Dilemma, dass öffentliches Falten eigentlich unanständig war, nicht mehr so sehr wie vorher.
    » In der Öffentlichkeit zu falten ist eigentlich auch nicht so schlimm wie öffentlich zu pinkeln «, sagte Jilly. » Es ist mehr wie vor anderen Leuten auszuspucken, und das macht man als höflicher Mensch normalerweise auch nicht. Aber während man in der Öffentlichkeit niemals pinkelt, egal, was geschieht, muss man vor anderen Leuten manchmal ausspucken, zum Beispiel wenn einem eine Mücke in den Mund geflogen ist, und das ist dann in Ordnung. Diese bösen Typen sind wie eine Mücke, die einem in den Mund geflogen ist, und sich von ihnen wegzufalten ist nicht schlimmer, als so eine Mücke auszuspucken, Shep. Tu ’ s jetzt, Schatz. Ganz schnell! «
    Shepherd hob die rechte Hand und griff mit Daumen und Zeigefinger ins Nichts.
    Jilly stand an seiner Seite und legte die linke Hand auf Shepherds rechte.
    Shep öffnete die Augen, wandte den Kopf und sah sie an.
    » Spürst du, wie es ist? «
    » Tu es, Schatz. Beeil dich. Jetzt! «
    Aus Angst, zurückgelassen zu werden, trat Dylan näher. Staunend sah er, wie sich zwischen Shepherds Fingern die Luft kräuselte und sich von diesem Punkt aus Falten bildeten.
    Shep zupfte am Gewebe der Wirklichkeit. Die Damentoilette faltete sich weg, und ein neuer Ort faltete sich auf Dylan, Shep und Jilly zu.

31
    Was immer auch geschah, ob nun Dylan sich selbst falte te oder ob sich die Damentoilette um ihn herum faltete, er geriet in Panik. Er war davon überzeugt, dass Shep sie irgendwo anders hinfalten würde als in ihr Motelzimmer. Vielleicht landeten sie stattdessen in einem anderen Motel, einem, in dem sie vor zwei oder drei oder auch zehn Nächten geschlafen hatten; vielleicht schwebten sie beim Auffalten hilflos mitten in der Luft und stürzten tausend Meter tief in den Tod. Vielleicht reisten sie von der Toilette auch auf den lichtlosen Grund eines Meeresgrabens und wurden dort von einem grässlichen Druck zermalmt, noch bevor sie das salzige Wasser in die Lunge sogen und ertranken. Der Shepherd, den Dylan seit zwanzig Jahren als Bruder kannte und für den er seit zehn Jahren täglich sorgte, war wie ein Kind. Seine Sinne und Fähigkeiten mochten intakt sein, aber er war nicht fähig, sie konsequent einzusetzen. Obwohl sie sich unversehrt aus Kalifornien zurückgefaltet hatten und sicher von ihrem Motelzimmer zum Eingang des Cafés gereist waren, konnte Dylan diesem neuen Shepherd O ’ Conner nicht vertrauen. Was war das für ein Mensch, der über Nacht zum Physikgenie geworden war, zum Meister der angewandten Quantenmechanik – oder was immer er anwandte –, zu einem Magier, der sich immer noch wie ein kleines Kind ausdrückte, der Zeit und Raum manipulieren konnte, sich jedoch weigerte, » bauchige « Nahrung zu sich zu nehmen, der sich mit » Shep « statt mit » ich « bezeichnete und der jedem Blickkontakt auswich? Wäre Dylan töricht genug gewesen, seinem Bruder einen geladene Waffe zu geben, dann hätte er nichts anderes als eine finstere Tragödie erwartet, und die möglichen Folgen dieses Hierdort-Faltens mussten ungleich katastrophaler sein als der Schaden, den man mit eine r M aschinenpistole anrichten konnte. Obwohl die Transitzeit extrem kurz war, kamen Dylan genügend furchtbare Möglichkeiten in den Sinn, um die Fans von schleimig-blutigen

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