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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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mit Coppertone« versehen, räkelten sich Dick und Perry, die seit fünf Tagen im Somerset wohnten, in einem Doppelzimmer für achtzehn Dollar die Woche.
    »Du hast mir noch gar nicht fröhliche Weihnachten gewünscht«, sagte Perry.
    »Fröhliche Weihnachten, Schätzchen. Und ein frohes neues Jahr.«
    Dick trug eine Badehose, während Perry sich, wie schon in Acapulco, weigerte, seine entstellten Beine zu entblößen – er hatte Angst, der Anblick könnte andere Strandbesucher »abstoßen« – und saß folglich vollständig angezogen da; selbst Socken und Schuhe hatte er anbehalten. Trotzdem fühlte er sich verhältnismäßig wohl, und als Dick aufsprang und anfing, Gymnastik zu machen – Kopfstand, um den Frauen unter dem rosa Schirm zu imponieren –, beschäftigte er sich mit dem Miami Herald. Im Innenteil stieß er auf einen Bericht, der seine Aufmerksamkeit gefangen nahm. Darin ging es um die Ermordung einer Familie aus Florida: Mr. und Mrs. Clifford Walker, ihr vierjähriger Sohn und ihre zweijährige Tochter. Die Täter hatten ihre Opfer zwar nicht gefesselt oder geknebelt, ihnen aber mit einer Waffe Kaliber 22 in den Kopf geschossen. Das scheinbar unmotivierte Verbrechen, zu dem es bislang keine Anhaltspunkte gab, war am Samstag, den 19. Dezember, im Haus der Walkers begangen worden, auf einer Rinderfarm bei Tallahassee.
    Perry unterbrach Dick in seinen Übungen, las ihm den Artikel vor und fragte: »Wo waren wir letzten Samstagabend?«
    »Tallahassee?«
    »Das frag ich dich.«
    Dick dachte nach. Am Donnerstagabend hatten sie Kansas verlassen und sich am Steuer abgewechselt, während sie durch Missouri nach Arkansas und über die Ozarks »rauf« nach Louisiana gefahren waren, wo sie wegen eines Lichtmaschinenschadens am frühen Freitagmorgen einen Zwischenhalt einlegen mussten. (Ein in Shreveport gekauftes Ersatzteil aus zweiter Hand kostete zweiundzwanzigfünfzig.) Übernachtet hatten sie im Wagen, am Straßenrand unweit der Grenze zwischen Alabama und Florida. Am nächsten Tag fuhren sie gemächlich weiter und ließen dabei keine Touristenattraktion aus – sie besuchten eine Alligatorenfarm und eine Klapperschlangenranch; sie schipperten in einem Glasbodenboot über einen silberklaren Sumpfsee und gönnten sich am frühen Nachmittag ein ebenso ausgedehntes wie kostspieliges Hummeressen in einem am Weg gelegenen Fischrestaurant. Ein wunderbarer Tag! Dennoch waren sie ziemlich erschöpft, als sie nach Tallahassee kamen, und so beschlossen sie, die Nacht dort zu verbringen. »Ja, Tallahassee«, sagte Dick.
    »Wahnsinn!« Perry überflog den Artikel ein zweites Mal. »Weißt du, was? Es würde mich nicht wundern, wenn das ein Irrer war. Irgendein Spinner, der etwas über die Geschichte in Kansas gelesen hat.«
     
    Dick, der keinen allzu großen Wert darauf legte, dass Perry »schon wieder damit anfing«, zuckte grinsend die Achseln und trottete zum Wasser hinunter, wo er eine Weile vor sich hin schlenderte und sich hier und da bückte, um eine Muschel aus dem wellennassen Sand zu klauben. Als Kind hatte er einen Nachbarsjungen, der in den Ferien an die Golfküste gefahren und mit einer Schachtel voller Muscheln zurückgekommen war, so sehr beneidet – so sehr gehasst –, dass er die Muscheln gestohlen und mit dem Hammer Stück für Stück zertrümmert hatte. Der Neid nagte in einem fort an ihm; jeder, der etwas darstellte, das er selbst gern gewesen wäre, oder etwas besaß, das er selbst gern besessen hätte, war »der Feind«.
    Zum Beispiel der Mann, den er am Pool im »Fontainebleau« gesehen hatte. Meilenweit entfernt, gehüllt in einen sommerlichen Schleier aus Hitzedunst und Meeresfunkeln, ragten die fahlen Türme der teuren Hotels in den Himmel – das Fontainebleau, das Eden Roc, das Roney Plaza. Einen Tag nach ihrer Ankunft in Miami hatte er Perry vorgeschlagen, diese Vergnügungspaläste heimzusuchen. »Vielleicht ein paar reiche Weiber aufreißen«, hatte er gesagt. Perry widerstrebte der Gedanke; er glaubte, die Leute würden sie wegen ihrer TShirts und Khakihosen anstarren. Entgegen seinen Befürchtungen schenkte ihnen bei ihrem Rundgang durch das protzig ausstaffierte Fontainebleau jedoch niemand auch nur die leiseste Beachtung, weder die Männer, die in rotweißgestreiften rohseidenen Bermuda-Shorts umherstolzierten, noch die Frauen, die selbst zum Badeanzug eine Nerzstola trugen. Die Eindringlinge hatten in der Lobby herumgelungert, den Garten erkundet, sich am Swimmingpool gelümmelt.

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