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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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verrückt, aber vielleicht ließ sich so ja wirklich Geld verdienen – oder doch zumindest ein paar Dollar. Denn die konnten er und Perry weiß Gott gut gebrauchen; ihre Finanzen beliefen sich zusammengenommen auf nicht einmal fünf Scheine.
    Jetzt stürzten jedes Mal alle drei – Dick, der Junge und Perry – aus dem Auto und machten einander schamlos wenn auch augenzwinkernd, Konkurrenz. Einmal entdeckte Dick im Straßengraben eine Ansammlung von Weinund Whiskyflaschen, musste zu seinem Leidwesen jedoch erfahren, dass seine Entdeckung wertlos war. »Für Schnapsflaschen gibt’s kein Pfand«, erklärte ihm der Junge. »Auch für bestimmte Bierflaschen nicht. Mit denen geb ich mich erst gar nicht ab. Ich gehe immer auf Nummer sicher. Dr. Pepper. Pepsi. Coca-Cola. White Rock. Nehi.«
    »Wie heißt du eigentlich?«, fragte Dick.
    »Bill«, sagte der Junge.
    »Mensch, Bill. Von dir kann man noch was lernen.«
    Die hereinbrechende Dunkelheit zwang sie zum Abblasen der Jagd – außerdem hatten sie derart viele Flaschen gehortet, dass der Wagen sie kaum fassen konnte. Der Kofferraum war voll, der Rücksitz glich einem glitzernden Abfallhaufen; unbemerkt und selbst von seinem Enkel unbeachtet, war der kranke alte Mann fast gänzlich unter der unsicheren, bedrohlich klirrenden Ladung verschwunden.
    »War doch urkomisch, wenn wir ausgerechnet jetzt ’nen Unfall hätten«, meinte Dick.
    Eine Leuchtreklame warb für das New Hotel, das sich, aus der Nähe betrachtet, als ein beeindruckender Komplex, bestehend aus Bungalows, einer Garage, einem Restaurant und einer Cocktail Lounge, erwies. Der Junge übernahm die Führung. »Fahren Sie da rein«, sagte er zu Dick. »Vielleicht kommen wir mit denen ins Geschäft. Überlassen Sie das Reden mir. Ich kenn mich aus. Manchmal versuchen sie, einen übers Ohr zu hauen.«
    Perry konnte sich nicht vorstellen, dass jemand »clever genug war, den Kleinen übers Ohr zu hauen«, sagte er später. »Es machte ihm überhaupt nichts aus, mit den ganzen Flaschen da reinzumarschieren. Also, ich hätte das nicht gekonnt, ich hätte mich in Grund und Boden geschämt. Aber die Leute in dem Motel waren sehr nett; sie lachten bloß. Und für die Flaschen bekamen wir zwölf Dollar und sechzig Cent.«
    Der Junge teilte redlich – die eine Hälfte für sich, die andere für seine Partner – und sagte: »Wisst ihr was? Jetzt gehe ich mit Johnny ganz groß essen. Habt ihr nicht auch Hunger?«
    Dick hatte immer Hunger. Und selbst Perry knurrte nach der ganzen Plackerei der Magen. »Wir schleppten den alten Mann ins Restaurant«, sagte er später, »und pflanzten ihn an einen Tisch. Er sah unverändert aus – hippokratisch. Und er sagte die ganze Zeit kein Wort.
     
    Aber Sie hätten mal sehen sollen, wie der reingehauen hat. Der Kleine bestellte ihm Pfannkuchen; ›die mag Johnny am liebsten‹, sagte er. Ich schwör’s, der Kerl hat an die dreißig Pfannkuchen verdrückt. Mit gut zwei Pfund Butter und einem Liter Sirup. Der Kleine war aber auch kein Kostverächter. Kartoffelchips und Eis, mehr wollte er nicht, aber das in rauen Mengen. Komisch, dass ihm davon nicht schlecht geworden ist.«
    Beim Essen verkündete Dick, er habe auf der Straßenkarte nachgesehen, und Sweetwater liege mindestens hundert Meilen westlich ihrer Strecke, der Strecke, die sie durch New Mexico und Arizona nach Nevada führen würde – nach Las Vegas. Obwohl das stimmte, war Perry klar, dass Dick den Jungen und den alten Mann schlicht und einfach loswerden wollte. Das war auch dem Jungen nicht entgangen, doch er war höflich und sagte: »Ach, macht euch wegen uns mal keine Sorgen. Hier kommen bestimmt jede Menge Autos durch. Irgendwer wird uns schon mitnehmen.«
    Der Junge begleitete sie zum Wagen, während der alte Mann die xte Portion Pfannkuchen verschlang. Er schüttelte Dick und Perry die Hand, wünschte ihnen ein frohes neues Jahr und winkte ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren.
     
    Der Abend des 30. Dezember, eines Mittwochs, sollte der Familie des Agenten A. A. Dewey in unvergesslicher Erinnerung bleiben. Rückblickend sagte seine Frau: »Alvin lag in der Badewanne und sang. ›The Yellow Rose of Texas‹. Die Kinder sahen fern. Und ich deckte den Tisch im Esszimmer. Für ein Büfett. Ich komme aus New Orleans; ich koche und bewirte für mein Leben gern Gäste, und meine Mutter hatte uns gerade eine Kiste mit Avocados und Augenbohnen geschickt und – ach, einen ganzen Haufen leckerer Sachen.

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