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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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für 14 Uhr reserviert – der Termin, den sich vier Detectives aus Kansas für ihr erstes Aufeinandertreffen mit Hickock und Smith ausgesucht hatten.
    Kurz vor der vereinbarten Zeit versammelte sich das Quartett von KBI-Agenten – Harald Nye, Roy Church, Alvin Dewey und Clarence Duntz – auf dem Flur vor den Verhörräumen. Nye hatte erhöhte Temperatur. »Zum Teil Grippe. Hauptsächlich aber pure Aufregung«, wie er einem Journalisten später erklärte. »Ich hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Tage in Las Vegas gewartet – kaum war die Nachricht von der Verhaftung in unserer Zentrale in Topeka eingetroffen, saß ich auch schon im Flugzeug.
    Der Rest des Teams, Al, Roy und Clarence, kam im Wagen nach – eine lausige Fahrt. Lausiges Wetter.
    Silvester saßen sie eingeschneit in einem Motel in Albuquerque fest. Junge, Junge, als sie endlich in Vegas ankamen, hatten sie einen guten Whisky und gute Neuigkeiten bitter nötig. Ich konnte mit beidem dienen.
    Unsere jungen Freunde hatten die Auslieferungsanträge unterschrieben. Besser noch: Wir hatten die Stiefel. Beide Paare, und die Sohlen – einmal Cat’s-Paw-, einmal Rautenmuster – stimmten hundertprozentig mit den maß stabsgetreuen Fotos der Abdrücke überein, die wir im Clutter-Haus gefunden hatten. Die Stiefel lagen in einem Karton, den die Jungs von der Post abgeholt hatten, kurz bevor der Vorhang fiel. Wie ich schon zu Al Dewey sagte: Man stelle sich vor, wir hätten fünf Minuten früher zugegriffen!
    Trotzdem stand unser Fall auf wackligen Füßen – wir hatten nicht einen stichhaltigen Beweis. Aber ich weiß noch, als wir so auf dem Flur saßen und warteten – ich weiß noch, dass ich zwar fiebrig war und unheimlich nervös, aber auch zuversichtlich. Wie wir alle; wir alle hatten das Gefühl, an der Schwelle zur Wahrheit zu stehen.
    Church und ich sollten Hickock ausquetschen. Für Smith waren Al und Old Man Duntz zuständig. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich die beiden noch nicht gesehen – ich hatte lediglich ihre persönlichen Gegenstände inspiziert und die Auslieferungsanträge ausgefertigt. Ich bekam Hickock erst zu Gesicht, als er in den Verhörraum gebracht wurde. Ich hatte ihn mir größer vorgestellt.
    Breiter. Muskulöser. Nicht so dürr. Er war achtundzwanzig, aber er sah aus wie ein kleiner Junge. Halb verhungert – nichts als Haut und Knochen. Er trug ein blaues Hemd, hellbraune Hosen, weiße Socken und schwarze Schuhe. Wir gaben uns die Hand; seine Hand war trockener als meine. Sauber, höflich, angenehme Stimme, gepflegte Ausdrucksweise, ein sympathischer Bursche mit einem enorm entwaffnenden Lächeln – und am Anfang lächelte er ziemlich viel.
    Ich sagte: ›Mr. Hickock, mein Name ist Harold Nye, und das ist mein Kollege Mr. Roy Church. Wir sind Special Agents des Kansas Bureau of Investigation und möchten uns mit Ihnen über Ihre Verstöße gegen die Bewährungsauflagen unterhalten. Sie sind selbstverständlich nicht verpflichtet, unsere Fragen zu beantworten. Alles, was Sie sagen, kann vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben jederzeit Anspruch auf einen Verteidiger.
    Wir werden keine Gewalt anwenden, Sie nicht bedrohen und Ihnen keinerlei Versprechungen machen.‹ Er war die Ruhe selbst.«
    »Ich kenne meine Rechte«, sagte Dick. »Ich werde schließlich nicht zum ersten Mal vernommen.«
    »Also, Mr. Hickock …«
    »Dick.«
    »Dick, wir möchten mit Ihnen über Ihre Aktivitäten nach der Haftentlassung sprechen. Unseres Wissens haben Sie im Raum Kansas City mindestens zweimal in größerem Umfang ungedeckte Schecks unter die Leute gebracht.«
    »Mhhm. War ’ne ganze Menge.«
    »Könnten Sie uns die Geschädigten nennen?«
    Der Gefangene, sichtlich stolz auf seine einzige echte Begabung, ein glänzendes Gedächtnis, zählte die Namen und Adressen von zwanzig Läden, Cafés und Tankstellen in Kansas City auf und erinnerte sich präzise an den jeweiligen »Einkauf« und die Höhe des ausgestellten Schecks.
    »Eins würde mich interessieren, Dick. Warum nehmen diese Leute Schecks von Ihnen? Was ist Ihr Geheimnis?«
    »Das Geheimnis ist: Die Leute sind dumm.«
    »Gut, Dick. Sehr witzig«, sagte Roy Church. »Aber lassen wir die Schecks mal einen Augenblick beiseite.« Obwohl seine Stimme klingt, als wüchsen ihm Schweinsborsten in der Kehle, und seine Fäuste derart unempfindlich sind, dass er damit Mauerwände durchschlagen kann (sein liebstes Kabinettstück), wird Church oft fälschlich für einen freundlichen

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