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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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Wochenschauund Fernsehkameraleute, Reporter aus Missouri, Nebraska, Oklahoma, Texas und natürlich von sämtlichen führenden Zeitungen im Staate Kansas – im Ganzen zwanzig bis fünfundzwanzig Mann. Da es nicht allzu viel zu tun gab, hatten die meisten von ihnen die vergangenen drei Tage im wesentlichen damit verbracht, den Tankwart James Spor zu interviewen, der die mutmaßlichen Mörder auf Pressefotos als die Kunden identifizieren konnte, denen er in der Nacht der Holcomber Tragödie für drei Dollar und sechs Cent Benzin verkauft hatte.
    Diese professionellen Zuschauer waren angetreten, Smith und Hickocks Rückkehr für die Nachwelt festzuhalten, und Captain Gerald Murray von der Highway Patrol hatte ihnen auf dem Gehsteig vor der Treppe zum Gerichtsgebäude reichlich Platz eingeräumt – denn diese Treppe mussten die Gefangenen hinaufsteigen, um ins Bezirksgefängnis zu gelangen, eine Einrichtung, die das gesamte Dachgeschoss des dreistöckigen Kalksteinbaus einnimmt. Richard Parr, ein Reporter des Kansas City Star, hatte sich ein Exemplar der Montagsausgabe der Las Vegas Sun beschafft. Die Schlagzeile der Zeitung erregte reihum schallendes Gelächter:
    ANGST VOR SELBST-JUSTIZ BEI EINTREFFEN DER MORDVERDÄCHTIGEN.
     
    Captain Murray meinte: »Wie ein Lynchmob sieht mir das aber nicht aus.«
    Die Versammlung auf dem Courthouse Square machte vielmehr den Eindruck, als wollte sie einer Parade oder einer Wahlkampfveranstaltung beiwohnen. High-School-Schüler, darunter Klassenkameraden von Nancy und Kenyon Clutter, skandierten Anfeuerungsparolen, kauten Kaugummi, vertilgten Hot Dogs und Limonade. Mütter besänftigten schreiende Babys. Männer mit kleinen Kindern auf der Schulter schoben sich durch das Gedränge. Die Pfadfinder hatten gleich einen ganzen Zug entsandt. Und selbst die schon etwas angejahrten Mitglieder eines Damenbridgeclubs waren geschlossen aufmarschiert. Mr. J. P. (Jap) Adams, der Vorsitzende des örtlichen Veteranenbundes, erschien in einem so merkwürdig geschnittenen Kleidungsstück aus Tweed, dass ein Freund ihm zurief: »Hey, Jap? Seit wann trägst du Frauenkleider?« – denn um rechtzeitig am Schauplatz des Geschehens zu sein, hatte Mr. Adams in der Eile versehentlich den Mantel seiner Sekretärin übergestreift.
    Ein vagabundierender Radioreporter interviewte mehrere Einheimische und fragte sie, was ihrer Meinung nach die angemessene Strafe für »derart feige vorgehende Verbrecher« sei, und während den meisten seiner Opfer dazu wenig mehr einfiel als »Meine Güte« oder »Ach, du grüne Neune«, antwortete ein Schüler: »Ich finde, sie sollten bis an ihr Lebensende zusammen in eine Zelle gesperrt werden. Ohne Kontakt zur Außenwelt. Und da sollen sie dann sitzen und sich anstarren, bis sie verrecken.« Und ein forscher, wichtigtuerischer kleiner Mann sagte: »Ich bin für die Todesstrafe. Ganz im Sinne der Bibel – Auge um Auge. Auch wenn es dann immer noch zwei Paar zu wenig sind!«
    Solange die Sonne schien, war es ein trockener, warmer Tag gewesen – Oktoberwetter im Januar. Doch als die Sonne sank und die Schatten der riesigen Bäume verschmolzen, lähmten Kälte und Dunkelheit die Menge.
    Lähmten und dezimierten sie; gegen achtzehn Uhr waren keine dreihundert Zuschauer mehr übrig. Die Reporter stampften, über die ungebührliche Verspätung schimpfend, mit den Füßen und rieben sich mit bloßen, frierenden Händen die halberfrorenen Ohren. Plötzlich ging ein Raunen durch die Reihen an der Südseite des Platzes. Die Wagen kamen.
    Obgleich keiner der Journalisten mit Gewalttätigkeiten rechnete, hatten einige von ihnen vorhergesagt, es werde zu wüsten Beschimpfungen kommen. Doch als die Menge die Mörder, eskortiert von blau uniformierten Streifenpolizisten, schließlich zu Gesicht bekam, verstummte sie, wie aus Erstaunen darüber, dass die beiden tatsächlich wie Menschen aussahen. Die blassgesichtigen, mit Handschellen gefesselten Männer blinzelten blind in die grell flimmernden Blitzlichter und Scheinwerfer. Die Kameraleute folgten den Gefangenen und Polizisten ins Gerichtsgebäude und die drei Treppen zum Dachgeschoss hinauf, wo sie die ins Schloss fallende Gefängnistür filmten.
    Niemand blieb länger als nötig, weder das Pressekorps noch die Einheimischen. Warme Zimmer und ein warmes Abendessen lockten, und als sie davoneilten und den kalten Platz den beiden grauen Katzen überließen, verzog sich auch der wundersame Herbst; der erste Schnee des Jahres

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