Kaltblütig
Personenbeschreibungen der Insassen des roten Wagens vor. Straßensperren wurden errichtet, und Hubschrauber flogen die Highways ab; an einer Straßensperre in Utah wurden York und Latham gefasst. Später durfte ein örtlicher Fernsehsender sie im Polizeipräsidium von Salt Lake City interviewen. Wenn man das Ergebnis ohne Ton sieht, könnte man meinen, es handele sich um zwei muntere, kerngesunde Sportler, die sich über Eishockey oder Baseball unterhalten – jedenfalls nicht über Mord und die Tatsache, dass sie, wie sie großmäulig gestanden, sieben Menschen auf dem Gewissen hatten.
»Warum«, fragt der Interviewer, »warum haben Sie das getan?« Und York antwortet, selbstgefällig grinsend: »Wir hassen die Welt.«
Alle fünf Staaten, die sich darum bewarben, York und Latham vor Gericht zu stellen, sanktionieren die gesetzliche Tötung: Florida (elektrischer Stuhl), Tennessee (elektrischer Stuhl), Illinois (elektrischer Stuhl), Kansas (Tod durch den Strang) und Colorado (Gaskammer). Da Kansas über die stichhaltigsten Beweise verfügte, bekam es den Zuschlag.
Die Männer im Todestrakt lernten die Neuzugänge am 2. November 1961 kennen. Ein Wärter, der die beiden zu ihren Zellen führte, stellte sie vor: »Mr. York, Mr. Latham, das hier sind Mr. Smith, Mr. Hickock und Mr. Lowell Lee Andrews – ›der netteste Junge von Wolcott!‹«
Als der Aufmarsch vorbei war, hörte Hickock, wie Andrews kicherte, und fragte: »Was ist denn daran so komisch?«
»Nichts«, sagte Andrews. »Ich überlege nur gerade: Wenn man meine drei, eure vier und ihre sieben zusammenzählt, macht das vierzehn, und wir sind zu fünft. Vierzehn durch fünf, das wären pro Nase …«
»Vierzehn durch vier «, korrigierte Hickock barsch.
»Hier oben sitzen vier Killer und ein zu Unrecht Verurteilter. Ich bin kein Killer. Ich habe keinem Menschen je auch nur ein Haar gekrümmt.«
Hickock schrieb weiter Briefe, in denen er gegen seine Verurteilung protestierte, und einer davon führte schließlich zum Erfolg. Der Empfänger, Everett Steerman, Vorsitzender des Rechtshilfeausschusses der Anwaltskammer des Staates Kansas, war über die nachdrückliche Behauptung des Absenders, das Verfahren gegen ihn und seinen Mitangeklagten sei nicht fair gewesen, tief beunruhigt. Laut Hickock hatte die »feindselige Atmosphäre« in Garden City es unmöglich gemacht, unvoreingenommene Geschworene zu berufen, weshalb der Verhandlungsort von Rechts wegen hätte verlegt werden müssen. Wenigstens zwei der gewählten Geschworenen hätten bei der Befragung eine vorgefasste Meinung hinsichtlich der Schuld der Angeklagten erkennen lassen (»Auf die Frage nach seiner Einstellung zur Todesstrafe antwortete ein Mann, normalerweise sei er dagegen, in diesem Falle jedoch nicht«); leider sei die Geschworenenbefragung nicht aufgezeichnet worden, da dies nach den Gesetzen des Staates Kansas nur auf ausdrücklichen Antrag zu geschehen habe. Zudem seien viele Geschworene »mit den Verstorbenen gut bekannt gewesen. Auch der Richter. Richter Tate war ein enger Freund von Mr. Clutter.«
Sein gröbstes Geschütz aber richtete Hickock gegen die beiden Verteidiger Arthur Fleming und Harrison Smith, deren »Inkompetenz und Unvermögen« die Hauptursachen für das derzeitige Dilemma des Verfassers seien, da die Verteidigung sich weder gründlich vorbereitet noch eine Strategie entwickelt habe, und dieses mangelnde Engagement, so unterstellte Hickock, sei durchaus beabsichtigt gewesen – Resultat einer Absprache zwischen Verteidigung und Anklage.
Das waren schwerwiegende Vorwürfe, die die Integrität zweier angesehener Anwälte und eines Distriktrichters von Rang in Zweifel zogen, doch wenn sie auch nur teilweise zutrafen, dann hatte man die verfassungsmäßigen Rechte der Angeklagten verletzt. Auf Drängen von Mr. Steerman griff die Anwaltskammer zu einer in der Rechtsgeschichte des Staates Kansas beispiellosen Maßnahme: Sie beauftragte Russell Shultz, einen jungen Rechtsanwalt aus Wichita, die Anschuldigungen zu überprüfen, bei ausreichender Beweislage die Rechtsgültigkeit des Urteils anzufechten und vor dem Kansas Supreme Court, der das Urteil kürzlich bestätigt hatte, ein Habeas-Corpus-Verfahren einzuleiten.
Shultz’ Untersuchung gestaltete sich allem Anschein nach recht einseitig, beschränkte sie sich doch im Wesentlichen auf ein Gespräch mit Smith und Hickock, nach dem der ehrgeizige Anwalt mit kämpferischen Parolen vor die Presse trat: »Die Frage
Weitere Kostenlose Bücher