Kaltblütig
Gewalt.
Das ist das Einzige, was die kapieren – Gewalt. Sie kapieren es erst, wenn man ihre Scheune niederbrennt.
Ihren Hund vergiftet. Und sie umlegt.« Ronnie meinte, Latham habe »hundertprozentig recht« und setzte hinzu:
»Letzten Endes tut man den Leuten doch bloß einen Gefallen, wenn man sie umlegt.«
Die Ersten, denen sie diesen Gefallen taten, waren zwei ehrbare Hausfrauen aus Georgia, die das Pech hatten, York und Latham zu begegnen, kurz nachdem das mörderische Duo aus dem Militärgefängnis in Fort Hood entkommen und mit einem gestohlenen Pickup nach Jacksonville, Florida – Yorks Heimatstadt –, gefahren war.
Ort der Begegnung war eine Esso-Tankstelle in den dunklen Außenbezirken Jacksonvilles, die Zeit der Abend des 29. Mai 1961. Ursprünglich waren die beiden flüchtigen Soldaten nach Florida gereist, um Yorks Familie zu besuchen; aber als sie dort ankamen, hielt York es für klüger, keinen Kontakt mit seinen Eltern aufzunehmen; sein Vater neige zu Wutausbrüchen. Nach reiflicher Überlegung beschlossen Latham und er, nach New Orleans weiterzufahren, und hielten an der Esso-Tankstelle, um sich mit Treibstoff zu versorgen. An der Zapfsäule neben ihnen stand ein zweiter Wagen; darin saßen die beiden matronenhaften Frauen, die ihre ersten Opfer werden sollten und sich, nach einem ausgiebigen Einkaufsbummel durch Jacksonville, auf dem Rückweg in die kleine Stadt an der Grenze zwischen Florida und Georgia befanden, wo sie zu Hause waren. Leider Gottes hatten sie sich verfahren. York, den sie um Hilfe baten, zeigte sich höchst zuvorkommend: »Fahren Sie uns einfach nach. Wir bringen Sie auf den richtigen Weg.«
Doch der Weg, auf den er sie lotste, konnte falscher gar nicht sein: eine schmale Abzweigung, die sich in einem Sumpf verlor. Trotzdem schöpften die Damen erst Verdacht, als der Wagen vor ihnen plötzlich hielt und sie, im Licht der Scheinwerfer, sahen, wie die beiden hilfsbereiten jungen Männer auf sie zukamen, bewaffnet mit schwarzen Rinderpeitschen, wie sie, wenn auch zu spät, erkannten. Die Peitschen gehörten dem rechtmäßigen Eigentümer des gestohlenen Trucks, einem Viehzüchter; Latham war auf die Idee gekommen, sie als Garotten zu benutzen – was sie, nachdem sie die Frauen beraubt hatten, auch taten. In New Orleans kauften sich die Jungs eine Pistole und schnitten zwei Kerben in den Griff.
Im Lauf der nächsten zehn Tage kamen mehrere Kerben hinzu, erst in Tullahoma, Tennessee, wo sie ein schickes rotes Dodge-Cabriolet an sich brachten, indem sie den Besitzer, einen Handelsvertreter, erschossen; dann in einem in Illinois gelegenen Vorort von St. Louis, wo sie zwei weitere Männer ermordeten. Zu ihrem sechsten Opfer erkoren sie einen Großvater aus Kansas namens Otto Ziegler, einen freundlichen, robusten Mann von zweiundsechzig Jahren, der nicht etwa achtlos vorüberfuhr, wenn ein anderer Autofahrer eine Panne hatte, sondern seine Hilfe anzubieten pflegte. Als er eines schönen Junimorgens über einen Highway in Kansas rollte, erspähte Mr. Ziegler am Straßenrand ein rotes Cabrio mit hochgeklappter Kühlerhaube und zwei sympathisch wirkende junge Männer, die sich am Motor zu schaffen machten. Wie hätte der barmherzige Mr. Ziegler auch ahnen sollen, dass der Maschine nicht das Geringste fehlte – und dass dies eine Finte war, um etwaige Samariter auszurauben und zu töten? Seine letzten Worte waren: »Kann ich Ihnen helfen?« York jagte dem alten Mann aus sechs Meter Entfernung eine Kugel in den Schädel, wandte sich dann zu Latham um und sagte: »Guter Schuss, was?«
Ihr letztes war zugleich ihr erbarmungswürdigstes Opfer: ein Zimmermädchen aus einem Motel in Colorado, wo das marodierende Duo eine Nacht verbrachte, in deren Verlauf die erst Achtzehnjährige bereitwillig mit ihnen schlief.
Danach erzählten sie ihr, sie seien auf dem Weg nach Kalifornien, und luden sie ein, sich ihnen anzuschließen.
»Komm schon«, drängte Latham sie, »vielleicht werden wir ja am Ende alle Filmstars.« Das Mädchen und ihr hastig gepackter Pappkoffer endeten als blutgetränktes Bündel auf dem Grund einer Schlucht bei Craig, Colorado; und schon wenige Stunden nachdem sie erschossen und dort abgeladen worden war, bekamen ihre Mörder tatsächlich Gelegenheit, sich vor einer Filmkamera zu produzieren.
Da sie in der Gegend, in der man Otto Zieglers Leiche gefunden hatte, von Zeugen gesehen worden waren, lagen den Behörden in den Staaten des Mittleren und Äußeren Westens nun
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