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Kaltblütig

Titel: Kaltblütig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Truman Capote
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drum geben, wenn er irgendwo ‘ne Peitsche auftreiben könnte. Der würde Perry für sein Leben gern ein bisschen zwiebeln. Ich kann es ihm nicht verdenken. Wir sitzen schließlich alle im selben Boot, und die Jungs sind eigentlich ganz in Ordnung.«
    Hickock kicherte reumütig und sagte achselzuckend:
    » Eigentlich. Nicht dass Sie mich falsch verstehen. Ronnie Yorks Mutter hat ihn ein paarmal besucht. Eines Tages, im Warteraum, hat sie meine Mutter kennen gelernt, und seitdem sind die beiden dicke Freundinnen. Mrs. York hat meine Mutter eingeladen, sie in Florida zu besuchen, vielleicht sogar zu ihr zu ziehen. Schön wär’s. Dann könnte sie sich die ganze Quälerei ersparen. Alle vier Wochen mit dem Bus hier rausfahren. Lächeln, krampfhaft nach Worten suchen, um mich aufzumuntern.
    Die arme Frau. Ich weiß nicht, wie sie das aushält. Dass sie nicht längst verrückt geworden ist.«
    Hickocks ungleiche Augen wanderten zum Fenster des Besucherraums; sein Gesicht, aufgedunsen und blass wie eine Grablilie, schimmerte in der schwachen Wintersonne, die durch die vergitterte Scheibe fiel.
    »Die arme Frau. Sie hat dem Gefängnisdirektor geschrieben und gefragt, ob sie bei ihrem nächsten Besuch vielleicht mit Perry sprechen könnte. Sie wollte von ihm persönlich hören, dass er diese Leute umgebracht hat und ich nicht einen einzigen Schuss abgegeben habe. Ich kann nur hoffen, dass der Prozess eines Tages noch mal aufgerollt wird und Perry vor Gericht die Wahrheit sagt.
    Aber das bezweifle ich. Für ihn ist die Sache klar: Wenn er stirbt, soll auch ich sterben. Entweder beide oder keiner.
    Ich finde das ungerecht. Wer hat nicht schon alles einen Menschen umgebracht, ohne je eine Todeszelle von innen gesehen zu haben? Und ich habe noch nie jemanden umgebracht. Wenn man fünfzigtausend Dollar übrig hätte, könnte man halb Kansas City umlegen und sich ins Fäustchen lachen, ha ha.« Ein jähes Grinsen vertrieb seine schmerzliche Entrüstung. »Oje. Jetzt fang ich schon wieder damit an. Alte Heulsuse. Ich sollte es eigentlich besser wissen. Ich hab weiß Gott versucht, mit Perry klarzukommen. Aber er ist immer nur am Meckern. Er hat zwei Gesichter. Und ist auf jeden Dreck eifersüchtig.
    Auf jeden Brief, den ich kriege, auf jeden Besuch. Außer Ihnen kommt ihn ja nie jemand besuchen«, sagte er und nickte dem Journalisten zu, der mit Smith ebensogut bekannt war wie mit Hickock. »Höchstens sein Anwalt.
    Wissen Sie noch, wie er im Krankenhaus lag? Und einen auf Hungerstreik gemacht hat? Und wie er die Postkarte von seinem Dad bekam? Der Direktor hat Perrys Dad geschrieben, er wäre jederzeit willkommen. Aber er hat sich bis heute nicht hier blicken lassen. Ich weiß auch nicht. Manchmal kann einem Perry schon leidtun. Es gibt wahrscheinlich kaum einen einsameren Menschen auf der Welt. Aber. Ach, was soll’s. Er ist schließlich selber schuld.«
    Hickock fischte noch eine Pall Mall aus der Packung, zog die Nase kraus und sagte: »Ich hab versucht, mit dem Rauchen aufzuhören. Andererseits, was hätte das unter den Umständen schon für einen Sinn? Mit ein bisschen Glück krieg ich Krebs und schlag dem Staat ein Schnippchen. Eine Zeitlang hab ich Zigarren geraucht.
    Andys Zigarren. An dem Morgen, nachdem sie ihn gehängt hatten, wachte ich auf und rief: ›Andy?‹ – wie immer. Da fiel mir ein, dass er ja längst nach Missouri unterwegs war. Mit Onkel und Tante. Ich sah auf den Gang hinaus. Seine Zelle war schon ausgeräumt, und sein ganzer Krempel lag auf einem Haufen. Die Matratze von seiner Pritsche, seine Filzschuhe und das Skizzenbuch mit Bildern von Fressalien – er nannte es immer seinen Kühlschrank. Und eine Kiste ›Macbeth‹-Zigarren. Ich sagte dem Wärter, Andy hätte gewollt, dass ich sie kriege, er hätte sie mir vermacht. Ich hab sie dann doch nicht alle geraucht. Vielleicht war es der Gedanke an Andy, aber irgendwie schlugen mir die Dinger auf den Magen.
    Was ich von der Todesstrafe halte? Ich bin jedenfalls nicht dagegen. Klar geht es dabei um Rache, aber was spricht gegen Rache? Ich finde das sehr wichtig. Wenn ich mit den Clutters verwandt wär oder mit einem von denen, die York und Latham umgelegt haben, hätte ich keine Ruhe, bis die Schuldigen auf der Großen Schaukel landen.
    Diese Leserbriefschreiber, zum Beispiel. Erst neulich standen wieder zwei Briefe in einer Zeitung aus Topeka – einer von ’nem Priester. Von wegen was diese ganze juristische Farce eigentlich soll, warum macht man mit

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