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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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Kopfhörer.
    »Was ist denn heute mit dir los, Oliver? Du singst fast das ganze Lied perfekt herunter, und in der letzten Zeile kriegst du immer diesen Lachanfall.«
    »Tschuldigung, tut mir leid. Können wir noch mal? Diesmal klappts bestimmt.«
    »Na gut, meinetwegen. Ihr steigt bitte bei Ladidadidam, ladidadidam, irgendetwas mit Herz ein.«
    Die Musik startet, der Einsatz kommt. Ich schaue Rock-Hudson-Dr.-McCoy-Bert an. Wir singen einträchtig und voller Inbrunst los und wiegen uns im Takt dazu. Aber jetzt kommt gleich wieder der vermaledeite Schluss. Ich darf einfach nicht an gestern denken. Nicht daran, dass ich genau an dieser Stelle Amelie-Bert geküsst habe. Und vor allem nicht daran, was für ein Gesicht Rock-Hudson-Dr.-McCoy-Bert machen würde, wenn ich ihn jetzt auch einfach küssen… nein, nein, darf ich halt einfach nicht daran denken… am besten, ich schau ihn bei der Stelle gar nicht an. Und ich lasse nur Gedanken zu, die mit überfahrenen Kaninchen zu tun haben…
    »… Ladidadidam, ladidadidam, daaa… pfffffffrrrrzzzz huahuahuahaha!… Tschuldigung.«
    »Ich kann so nicht arbeiten.«
    »Oliver, ich dachte Sie sind professioneller Schauspieler?«
    »Jaja, Asche auf mein Haupt. Aber ich kriegs jetzt hin. Versprochen. Können wir noch mal bei Ladidadidam, ladidadidam, irgendetwas mit Herz… ?«
    So, jetzt muss ich mich aber wirklich zusammenreißen. Wieder die Musik, wieder der Einsatz, wieder Rock-Hudson-Dr.-McCoy-Bert ansehen, wieder sich im Takt wiegen und wieder an überfahrene Kaninchen denken. Und britisches Essen. Und amerikanische Erotikfilme. Und das Viertelfinale WM 1998… ja, diesmal schaffe ich es. Ich balle meine Fäuste und presse meine Beine fest an die Hockerbeine und lasse vor meinem geistigen Auge noch einmal Davor Suker die gesamte deutsche Abwehr austanzen und zum 3:0 einschießen…
    »… Ladidadidam, ladidadidam… AUUUUUTSCH!!!«
    …
    Ich sehe, wie Herr Böltinghausen und der Tonmeister im Regieraum die Hände auf die Ohren gepresst halten und sich nur sehr langsam trauen, sie wieder herunterzunehmen.
    »Was war denn das jetzt bitte, Oliver?«
    »Tschuldigung, aber es ist so, meine Mutter wollte vorhin noch meine Hose kürzen, wir hatten nämlich heute Geburtstagsfrühstück, und sie hat nur das eine Hosenbein geschafft, weil bei ihrer Nähmaschine der Spindelspuler abgebrochen ist, und da hat sie dann das andere Hosenbein einfach nur mit Stecknadeln hochgesteckt, weil sie fand, dass das sonst doof aussieht, wobei, ich hab ihr noch gesagt, dass das völlig egal ist, weil wir ja hier nur Ton aufnehmen und nicht Bild, nicht wahr, na ja, aber es war ihr halt einfach ein Anliegen, und ich hab jetzt im Eifer des Gefechts die Nadeln ganz vergessen, und weil ich nicht lachen wollte, hab ich mein Bein so an den Hocker gedrückt, und die eine Nadel, ne, war ja klar… also, können wir vielleicht einfach noch mal bei Ladidadidam, ladidadidam, irgendetwas mit Herz… ?«

Russische Botschaft
     
    Das habe ich jetzt einfach mal so richtig versaut. Zwei Stunden im Studio und keine komplette Version des Lieds im Kasten. So was darf eigentlich nicht passieren. Aber es war wirklich wie verhext. Ein Wunder, dass Rock-Hudson-Dr.-McCoy-Bert mich nicht in Stücke gerissen hat. Keine Ahnung, was das für Konsequenzen haben wird. Herr Böltinghausen wollte sich zwar um einen neuen Termin bemühen, bei dem ich dann gleich auch noch »Hätt’ ich dich heut erwartet, hätt’ ich Kuchen da« einsingen soll, damit es sich lohnt, aber ich habe irgendwie den Verdacht, dass sie bis dahin hinter meinem Rücken ein neues Ernie-Casting machen. Wenn sie dann einen finden, der stimmlich passt, bin ich draußen. Das wäre schlimm. Ich darf gar nicht dran denken, dass ich mir diese Woche eine Jeans für 119,90 Euro gekauft habe. Zurückgeben kann ich die jetzt nicht mehr, nachdem meine Mutter dran rumgeschnibbelt hat.
    Bevor ich in die U-Bahn steige, hole ich mir noch eine Berliner Zeitung. Die Arturo-Ui-Aufführung heute Abend ist schon wieder der Aufmacher im Berlin-Teil. Bushido-feindliche Hiphopper wollen in Scharen die Aufführung besuchen, und Bushido-Freunde wollen stören. Ich bekomme allmählich Angst, dass mein Geburtstagsgeschenk doch keine so gute Idee war, aber da gibts jetzt kein Zurück mehr.
    Vor dem Haus setze ich mich auf die Bank vor der Kokser-Galerie, die Hendrik inzwischen wieder zusammengeflickt hat, und versuche kurzentschlossen, Julia anzurufen. Ist zwar schon einiges

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