Kaltduscher
schiefgelaufen heute, aber ich kann ja trotzdem jetzt nicht einfach so die Zeit verstreichen lassen.
Ihr Handy ist aus. Also wieder SMS.
reden?
Wenn sich ein SMS-Text an Julia bewährt hat, dann dieser. Ich stecke mein Handy wieder ein. Danach ziehe ich mir die Stecknadeln aus dem linken Hosenbein und pikse sie in den bröckelnden Ost-Schaufensterkitt hinter mir. Am besten ich vergesse das jetzt mal mit dem Geburtstag. Gibt ja auch noch andere schöne Tage im Jahr. Muss man halt so nehmen, wie es kommt.
Als ich die Wohnungstür aufmache, steht zu meiner Überraschung meine komplette WG plus Exmitbewohner Hendrik plus Caio plus Hacker-Arne plus eine weitere Reto-Schönheitskönigin im Flur Spalier. Während ich vorsichtig einen Fuß vor den anderen setze, grölt das Spalier die Darth-Vader-Melodie aus Star Wars.
»Däm Däm Däm Dämdädäm Dämdädäm!
Däm Däm Däm Dämdädäm Dämdädäm!
Alles Gute zum Geburtstag!«
So weit, so gut. Das war wirklich sehr engagiert vorgetragen und gut gemeint und auch wirklich mal was anderes als dies ewige Happy Birthday. Nur der Moment danach ist etwas schwierig, weil sich irgendwie keiner so recht traut, mir als Erster die Hand zu schütteln oder mir gar um den Hals zu fallen. Schon nachvollziehbar. Man will sich in solchen Situationen ja nicht vordrängeln, vielleicht gibts ja jemanden, der dem Geburtskind noch näher ist. Aber irgendwie stehe ich für ein paar Sekundenbruchteile ziemlich dumm da. Schließlich gibt sich Reto einen Ruck, schüttelt mir kräftig die Hand, gratuliert und überreicht mir ein Geschenk. Während ich die Tafel Schweizer Schokolade und die Familienpackung Kuh-Gras vom Geschenkpapier befreie, fange ich wieder an zu grübeln. Irgendwie schon komisch, dass mir ausgerechnet Reto als Erster gratuliert.
Aber als ich als Nächstes ein mit Schleifchen versehenes Gesangsmikrostativ mit Rundfuß überreicht bekomme, bin ich dann schon ganz schön gerührt. Tobi, Gonzo, Francesco, Hendrik, Caio und Arne haben zusammengelegt. Nachdem mich alle gedrückt haben, mache ich spontan ein paar verwegene Rock’n’Roll-Turnübungen mit dem Ding. Dabei zerdeppere ich die Glühbirne über mir und kriege tosenden Applaus.
Während die anderen in die Küche umsiedeln, kommt schließlich die Reto-Schönheitskönigin auf mich zu. Ich bin noch mächtig am Schnaufen.
»Herzlichen Glückwunsch auch von mir.«
»Puh… Vielen Dank.«
Auch das ist komisch. Die Person, die man am wenigsten kennt, gratuliert natürlich zuletzt, und das führt dann wiederum dazu, dass sie die Erste ist, mit der man wirklich Zeit hat zu reden.
»Hm, wir äh… kennen uns noch gar nicht, nicht wahr?«
»Ja, stimmt. Ich heiße Diana.«
Dieses Gesicht. Dazu das Lächeln, die Haltung, der Duft. Es wäre unmöglich zu sagen, welche von den ganzen Reto-Frauen die Schönste ist. Irgendwie schweben sie alle in Sphären, in denen die üblichen Vergleiche nicht mehr greifen, und irgendwie schafft es jede von ihnen, einem sofort das Gehirn umzudrehen. Trotzdem habe ich gerade immerhin einen korrekten Satz herausgebracht. Bin wohl tatsächlich schon ein wenig abgehärtet. Hoffentlich kann ich das Niveau halten.
»Und wie heißt du?«
»Kroliver… äh Krock… also Krach meine ich, aber die Jungs nennen mich Oliver… nein, umgekehrt eigentlich… ach, sag einfach Krolch zu mir…«
»Also Krach ist richtig?«
Sie ist anscheinend an so was gewöhnt.
»Äh ja, Krach. Jetzt ham wirs, hehe…«
»Toller Name. Du bist bestimmt Künstler, oder?«
»Ja, Schausteller, Gesänger und Synchronspringer. Und was machst du so?«
Der Satz war jetzt, glaub ich, schon wieder nicht hundert Prozent richtig, aber doch tausendmal besser als der vorhin mit meinem Namen. Also das war wirklich ein Desaster…
»He, Diana, Krach, jetzt kommt mal ran hier.«
In der Küche sitzen alle um Tobis und Arnes Laptops herum.
»Lasst mal den Krach nach vorne. Die Show ist schließlich auch ein Geburtstagsgeschenk.«
Ach ja, vier Uhr, das Stasi-Opa-Finale. Jetzt bin ich wirklich gespannt. Zwei Laptops stehen auf dem Tisch. Auf dem einen sieht man nur schmutziges Weiß, auf dem anderen den Opa aus der Vogelperspektive. Er sitzt an der Abhöranlage, Kopfhörer auf den Ohren und die Hände auf der Schreibmaschine, zittrig, aber bereit, bis zu seinem letzten Atemzug unser WG-Leben aufs Papier zu hämmern.
»Warte kurz. Ich will noch mal probieren, ob die Leitung steht: DIE MAUER MUSS WEG!«
Tatsächlich, er fängt an zu
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