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Kaltduscher

Kaltduscher

Titel: Kaltduscher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthias Sachau
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auch einen Instinkt, jedenfalls reißt die Verbindung genau an der Stelle, wo wir schon längst eine weitere Halteschelle an der Decke hätten anbringen sollen, auf, und, was soll ich sagen, es ist natürlich auch genau die Stelle, unter der Herr Wohlgemuth steht, und der wird nun über und über mit Dingen besudelt, über die ich nicht sprechen möchte, wobei, interessanter Zufall, unter diesen Dingen befindet sich auch die verschollene andere Hälfte des Stecherakademie-Buchs. Aber das fällt in dem Augenblick nur mir auf.
    Wir alle halten uns, auch das eine Instinkthandlung, die Nase zu. Das ist allerdings die einzige Instinkthandlung des Nachmittags, die nichts zum Gesamtschlamassel beiträgt. Das tut dafür umso mehr Amelies nächste Instinkthandlung, die Herrn Wohlgemuth, der ja immerhin gerade erst dem Tod ins Auge geblickt hat und anschließend, nun ja, übelst beschmutzt wurde, natürlich irgendwie helfen will. Und auch wenn das Tempotaschentuch, das sie ihm hinhält, sicher etwas zu schwach auf der Brust für eine Aufgabe wie diese ist, kann man wenigstens festhalten, dass hier auch die Geste etwas zählt.
    Herrn Wohlgemuths daran anschließende Instinkthandlung ist dagegen fast unmöglich zu erklären. Könnte sogar sein, dass es, streng wissenschaftlich betrachtet, gar keine lupenreine Instinkthandlung ist. Man muss nämlich in Betracht ziehen, dass der Mann in diesem Moment unter akutem Stress und extremer Reizüberflutung leidet, und wenn man dazu noch bedenkt, dass er sowieso schon die ganze Zeit an der Schwelle zum Wahnsinn wandelt, braucht man sich eigentlich über nichts mehr zu wundern. Also lassen wir es offen, Instinkt, Blackout oder schlechte Kinderstube, jedenfalls schickt Herr Wohlgemuth Amelie mit einem sauberen (also zumindest technisch sauberen) Kinnhaken auf die Bretter. Das löst wiederum zwei Instinkthandlungen aus. Die erste überrascht mich. Also ich meine, überrascht mich positiv. Ich dachte nämlich einen kurzen Augenblick, dass Gonzo nun versuchen würde, Herrn Wohlgemuth mit bloßen Händen zu erwürgen (auch wenn es noch so ekelig ist, ihn in seinem augenblicklichen Zustand anzufassen). Tut er aber nicht. Er lässt Herrn Wohlgemuth links liegen, beugt sich stattdessen über Amelie, zieht sie mit einem zärtlichen Rettungssanitätergriff aus der Gefahrenzone und legt ihren Kopf auf seine Knie. Dafür jetzt natürlich Julia. Klar, Mann greift Frau an, und dann auch noch die beste Freundin, die noch dazu gar nichts Böses gemacht hat, da reicht das Knie in die Eier nicht aus. Da fliegt Herr Wohlgemuth anschließend hoch durch die Luft quer über den Flur. Was sie da in den Frauenselbstverteidigungskursen über Hebelwirkung lernen, ist ja schließlich nicht nur Theorie.
    So weit Julias Instinkthandlung, Teil eins. Teil zwei ist ein wenig komplexer. Ich brauche von allen Anwesenden mit Abstand am längsten, um zu verstehen, was da passiert ist, weil ich nämlich selbst darin verwickelt bin. Und ich bin mir auch nicht sicher, welche Formulierung besser passt. Die erste Möglichkeit wäre: Julia hat mir Herrn Wohlgemuth an den Kopf geworfen. Das ist vor allem interessant, wenn man das Ganze im Kontext der Instinkthandlung analysiert: Theoretisch hätte Julia Herrn Wohlgemuth nämlich jedem von uns an den Kopf werfen können. Es kann Zufall sein, dass es ausgerechnet mich erwischt hat, aber es kann auch Absicht gewesen sein. Zumindest unterschwellig. Man muss ja nur mal meinen Party-Handrückenhieb, meinen H&M-Gürtel-Peitschenschlag und meinen Kastenbett-Tritt zu unserer Beziehungskrise hinzuzählen und könnte sofort sagen, dass sich hier ein Kreis schließt.
    Aber andererseits, Herr Wohlgemuth ist nach unserer Kollision in den Inzaghi-Hass-Altar gekracht. Und weil ich, alter Fußballerreflex, meinen Nacken im Moment des Wohlgemuth-Anpralls steif gemacht und dadurch seine Flugbahn entscheidend beeinflusst habe und weil es nicht zuletzt auch lässiger klingt, würde ich das Ganze lieber so formulieren: Ich habe Herrn Wohlgemuth per Kopfball-Abstauber auf den Inzaghi-Hass-Altar befördert.
    Und dort liegt er nun und jammert und stöhnt. Und während Tobi seinen Apothekerinstinkten freien Lauf lässt und Herrn Wohlgemuth nach allen Regeln der Kunst mit Eisspray, Kühlpäckchen und Salben bearbeitet, sehen wir erstaunt, welch starke geistige Verwandschaft doch zwischen Herrn Wohlgemuth und Inzaghi besteht.
    »Tut das weh, wenn ich so mache, Herr Wohlgemuth?«
    »Auuuuu!«
    »Hm, und das

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