Kaltduscher
gesteckt.«
»O… okay.«
»Verantwortung des Starken gegenüber dem Schwachen, von wegen, ich hab drauf gepfiffen… Angst und Schrecken hab ich verbreitet… Einfach nur aus Spaß… Alle haben mich Brutus genannt.«
Verflixt. In zehn Minuten muss ich bei der Aufnahmeprüfung sein…
»Ich habe mich all die Jahre nicht getraut, dir das zu erzählen. Aber für heute hatte ich es mir fest vorgenommen. Heinz hat mich auch ermutigt…«
Verstehe. Die Predigt, Papas Beichte, alles von langer Hand geplant. So wichtig ist es ihm. Wenn ich jetzt nur nicht…
»Was ich sagen wollte, ich habe aus allem gelernt. Ich hoffe, du glaubst mir das…«
Er guckt schüchtern zu mir. Unglaublich. Der Rugby-Held mal ganz schwach und zerbrechlich. Warum ausgerechnet jetzt?
»Hör mal Papa, natürlich glaub ich dir, dass du daraus gelernt hast, ich kenn dich doch, ich… also eigentlich ist das komisch, aber am meisten bin ich darüber enttäuscht, dass das mit dem Wassereimer nicht stimmt (albern, was?), und ich kann mir vorstellen, was das bedeutet, dass du mir das anvertraust, und wir sollten darüber reden, aber, ich sage es dir jetzt einfach mal, ich habe um Punkt Viertel nach zwölf Aufnahmeprüfung an der Schauspielschule, und…«
Er sieht mich an wie ein geschlagener Hund. Das ist nicht gut. Ich weiß, dass es nicht gut ist.
»Nein, egal, warte, warte, ich ruf da an. Vielleicht kann ich ein andermal kommen… Ich habe statistisch gesehen eh keine Chance. Niemand wird gleich beim ersten Mal genommen, sagen sie mir immer…«
Ich fummle mein Handy aus der Tasche und denke gleichzeitig daran, dass ich die Nummer der Ernst Busch eh nicht dabeihabe. Wie war jetzt noch mal die Nummer der Auskunft?
»He…?«
Mein Vater entwindet mir mit einem kräftigen Griff das Handy und stopft es wieder zurück in meine Tasche.
»Nein, junger Mann, du gehst dahin.«
»Ehrlich, Papa?«
»Hopp, du kommst zu spät.«
Er lächelt. Ich drücke ihn fest an mich.
»Hey, wir reden ein andermal drüber, okay?«
»Okay.«
Ich gehe ein paar Schritte vor in Richtung Tür und weiß, dass wir nicht mehr darüber reden werden. Wir müssen nicht mehr darüber reden. Irgendwie hat sich in den vergangenen drei Sekunden alles erledigt. Fast alles. Ich reiße mir blitzschnell die Tasche von der Schulter und schleudere sie, so fest ich kann, in seine Richtung.
»Da kommt was!«
Mein Vater, der sich wieder über die Brüstung gelehnt hatte, fährt herum, sieht das Ei kommen und fängt es grinsend auf. Wie immer.
»Harhar. Hast du dir so gedacht.«
Er holt aus und schleudert die Tasche zurück. Sie pfeift durch die Luft. Seine ganze Erleichterung über unser Gespräch liegt in diesem Wurf. Leider ist die Erleichterung so groß, dass ich keine Chance habe, das Geschoss aufzuhalten. Wir sehen beide mit offenen Mündern zu, wie meine Tasche über die Brüstung in den Berliner Himmel fliegt, sich langsam absenkt und schließlich irgendwo in der unübersichtlichen Dachlandschaft des Berliner Doms verschwindet.
»Ouh, das war ein bisschen fest, was?«
»Mist.«
»Egal, geh einfach los, Oliver. Ich kümmere mich drum.«
»Geht nicht. In der Tasche ist der Schlüssel für unten.«
»Nein! Dann ruf schnell Onkel Heinz an.«
»Papa, das Handy ist auch weg.«
»Ach so, stimmt.«
»Hast du eins?«
»Nein.«
Bühne frei
Dass ich die Aufnahmeprüfung verpasst habe, ist wirklich okay. Was ist schon die kleine Chance, mit Warten auf Godot vor der Ernst-Busch-Jury zu bestehen, gegen die Chance, meine Beziehung zu meinem Vater in neue Sphären zu heben? Muss man wirklich mal im Großen und Ganzen sehen. Nein, diese endlos lange Zeit, die wir beide mit hochgelegten Füßen auf der Traufe der Domkuppel saßen, Richtung Lichterfelde schauten und uns unglaubliche Geschichten aus unserer Schulzeit erzählten, die sonst jeder von uns beiden ganz bestimmt für den Rest seines Lebens für sich behalten hätte, war Gold wert.
Onkel Heinz und meine Mutter kamen erst nach eineinhalb Stunden, um nach uns zu sehen. Sie waren ja eingeweiht, dass mein Vater wichtige Dinge mit mir klären wollte, und als sie am Ende beschlossen, doch mal zu gucken, hat es auch noch eine ganze Weile gedauert, bis Onkel Heinz endlich einen Zweitschlüssel für den Aufgang gefunden hat. Aber wie gesagt. Das mit der Aufnahmeprüfung ist für mich wirklich okay.
Was hingegen überhaupt nicht okay ist, ist, dass ich jetzt eine Dreiviertelstunde zu spät für das Rendezvous mit Julia
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