Kaltduscher
kunstvoll geflochtenen Rattansessel à la Emmanuelle 1 bis 4. Aber klar, heute ist ja unsere WG-Bandprobe. Da ist er zuverlässig zur Stelle. Weiß genau, dass keine andere Band der Welt ihn nehmen würde.
Ihm gegenüber sitzt Gonzo in seiner Ecke und belehrt die Umstehenden, wie man das Logo für die WM 2006 viel besser hätte designen können, während Tobi voll und ganz darin versunken ist, Toastbrote in sich reinzustopfen. Hoch über allem hängt der friedlich vor sich hin ballernde Rambo. Das ist mehr als genug, um sich zu Hause zu fühlen.
Während ich mich, innerlich lächelnd, Richtung Tisch vordrängle, nehme ich zufrieden wahr, wie Vollbart-Lukas sofort, als er mich sieht, mit einer entschuldigenden Geste von meinem Stammplatz aufspringt. Wenigstens die Grundregeln des Anstands gelten hier noch. Bevor ich mich setze, haue ich im Vorbeigehen Francesco so fest ich kann auf die Schulter. Alte Tradition. Ein Mann von seinem Körperbau steckt das locker weg. Außerdem piepst er dann immer so niedlich »Fester, fester!«.
»SAMMA HAST DU SIE NOCH ALLE?!!!«
Okay, es ist nicht Francesco. Es ist Julia.
Ein bisschen ist sie ja selbst schuld. Jeder, der sich hier nur halbwegs auskennt, weiß, dass die Harmonie des Raums gestört ist, wenn die Stammplätze falsch besetzt sind. Deswegen haben wir eine Unmenge Klappstühle in der Ecke. Aber Julia ist nun mal ein rebellischer Geist. Vor allem, wenn es um Männer-Regeln geht.
Und irgendwie bin ich natürlich auch schuld, weil Julias wilde blonde Lockenmähne mit Francescos Glatze zu verwechseln, das geht eigentlich gar nicht. Ich bin wohl immer noch ein wenig mitgenommen von dem Hosen-Massaker vorhin.
»I… ich dachte, du wärst Francesco.«
»Aha.«
Und während Julia »Aha« sagt, schreit ihr Blick »Männer!«. Es gibt niemanden auf der Welt, der so laut »Männer!« schreien könnte, wie Julia es einfach nur mit einem Blick kann. Ich setze mich zerknirscht hin und lasse mir ein Bier geben.
»Zu bunt ist bei Logos immer ein Fehler. Die hätten einfach einen harten Hell-Dunkel-Kontrast mit einer leuchtenden Akzentfarbe kombinieren sollen.«
»Mjam. Kann mal einer die nächste Toast-Packung aus dem Tiefkühlfach holen?«
»Tannengrün zum Beispiel.«
»Was ist da eigentlich für ein Auflauf im Hof?«
»Sieht so aus, als ob wieder jemand auszieht.«
»Tja, ne, der Wohlgemuth.«
»Der macht jetzt wirklich ernst.«
»Das ist jetzt aber wirklich die letzte Packung, Tobi.«
»Beunruhigend.«
»Und die Form. Viel zu kompliziert. Einfach ein paar klare Linien hätten gereicht. So zum Beispiel.«
»Oh nein!«
»Was ist?«
»Das sind die Bellermanns, die da ausziehen!«
Tatsächlich, die Bellermanns. Das reizende alte Ehepaar, das bis eben noch über uns wohnte, steht mit nachdenklichen Mienen im Hof und sieht den Möbelpackern zu. Ich mache das Fenster auf.
»Herr Bellermann, das ist jetzt nicht Ihr Ernst, oder?«
»Doch, doch, junger Mann. Das wird ja immer nur lauter und schmutziger hier. Wir ziehen zu unserem Jungen nach Fredersdorf. Da wurde gegenüber ein Haus versteigert, und ein paar Euro hatten wir ja zum Glück noch auf dem Konto, nicht wahr.«
Touché. Die letzten zurechnungsfähigen Menschen verlassen das Schiff. Wir sinken zurück auf unsere Plätze, und jeder von uns zählt im Stillen nach, wie viele Wohnungen in unserem Haus jetzt überhaupt noch bewohnt sind. Das Ergebnis ist erschütternd. Es bleiben nur noch wir, der alte Mann mit der Kastenbrille aus dem dritten Stock, der nie ein Wort spricht, die vietnamesischen Zigarettenschmuggler aus dem vierten und die Kunstgalerie im Erdgeschoss. Das heißt, die Betreiber nennen es eine Kunstgalerie. In Wirklichkeit feiern sie dauernd kokaingesteuerte Partys und behaupten, es wären Vernissagen, damit sie keine Ausschanklizenz brauchen. Die sind einfach schlauer als wir damals mit unserem Keller-Club…
»Super. Ganz abgesehen davon, dass wir jetzt nur noch mit Freaks zusammenwohnen, ist die Presslufthammerorgie jetzt bestimmt ab morgen früh in der Bellermann-Wohnung. Oder, mit anderen Worten…«
»… direkt über unseren Köpfen.«
»Und zwar über allen.«
Julia muss los. Sie steht auf, tuschelt Amelie ein paar Worte zu und wirft mir, während sie sich gemeinsam mit ihr Richtung Flur vorschiebt, noch einen Blick zu wie eine Prinzessin dem Hofnarr, der ihr auf den Zeh getreten ist, den sie aber trotzdem nicht enthaupten lässt, weil ein niederes Wesen wie er gar nicht
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