Kaltduscher
haben. Jetzt haben wir aber nur die kleine Besetzung, und Gonzo steht auch noch ganz vorne. Wir sehen, wie sein Mund aufgeht, wir sehen die geballte Faust. Für den Bruchteil einer Sekunde gucken wir uns an. Das reicht, um die Rollen zu verteilen.
Tobi springt Gonzo von hinten an, reißt ihn zu Boden und hält ihm den Mund zu. Ich sehe über das Gonzo-Tobi-Kuddelmuddel hinweg Herrn Wohlgemuth ins Gesicht. Er sieht so aus wie immer. Möchte erscheinen wie einer, dem das ganze Stadtviertel gehört und für den wir nicht mehr sind als jederzeit zertretbare Ameisen. Aber das kriegt er nicht hin. Bei ihm ist immer alles eine Spur zu viel. In den Haaren ein bisschen zu viel Haarwasser, der Schlips ein bisschen zu bunt, das Hemd ein bisschen zu rosa, die Schuhe ein bisschen zu glänzend, die Beine ein bisschen zu weit auseinander, der Kopf ein bisschen zu weit vorgestreckt und die Ohren ein bisschen zu rot. Das alles sagt mir, dass ihm eben nicht das ganze Stadtviertel gehört, sondern nur ein Haus, dass er Schulden in mindestens sechsstelliger Höhe hat und dass er ein blutiger Anfänger in Sachen Immobilien ist. Aber ich komme gar nicht zu Wort. Er plaudert gleich los.
»Wissen Sie, Herr Krachowitzer, wenn Sie mal richtige Kerle als Bauarbeiter haben wollen, nehmen Sie Georgier. Die Kirgisen hab ich heute Mittag rausgeschmissen, die hatten keinen Mumm. Kann man doch richtig hören, dass da jetzt ein ganz anderer Wind weht, was?«
»Also, wenn Sie jetzt den Sound meinen, muss ich Sie enttäuschen, Herr Wohlgemuth. Die Georgier sind kein Stück lauter als die Kirgisen. Aber die Effektivität, ja, da muss ich Ihnen schon recht geben.«
Ich glaube, ich habe den richtigen Ton getroffen. Herrn Wohlgemuths Grinsen verschwindet, und seine rechte Wange beginnt ein wenig zu zucken.
»Weil wir gerade bei diesem Thema sind, Herr Wohlgemuth, könnten Sie bitte allen Kirgisen, Georgiern, Usbeken, Mosambikanern und wen Sie sonst noch als Schwarzarbeiter beschäftigen, sagen, dass sie die Wand zu meinem Zimmer in Ruhe lassen sollen?«
Ja, klar, darauf hat er sich die ganze Zeit gefreut. Das Grinsen kommt wieder.
»Ach herrjemineh, Herr Krachowitzer, gab es da etwa Probleme? Das tut mir aber leid. Aber wissen Sie, wir leben nun mal in einer multikulturellen Stadt. Viele Völker, viele Sprachen. Da gibt es hin und wieder kleine Verständigungspannen, nicht wahr?«
»Schon klar, Herr Wohlgemuth.«
Ich sehe, dass Gonzo die Oberhand über Tobi gewinnt. In seinen Augen stehen zwei zähnefletschende Totenköpfe.
»Wollten Sie auch etwas dazu sagen, Herr Gonzalez-Viehbauer?«
Bloß nicht. Ich komme Tobi zu Hilfe, versuche aber parallel dazu, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen.
»Nein… Herr Gonzalez-… Viehbauer kommt… jetzt wieder rein… und tr… inkt… noch ein Beruhigungs-… Bier. Nicht wahr… Gonzo?«
Ein paar Sekunden später hat Tobi ihn endlich im Schwitzkasten und schleift ihn rückwärts über die Schwelle zurück in die Wohnung. Ich richte mich schwer atmend wieder auf.
»Ach, und Herr Krachowitzer, haben Sie und Ihre Kameraden endlich Ihren Mietvertrag gefunden?«
Er kanns nicht lassen. Ich hole tief Luft.
»Herr Wohlgemuth, unser Mietverhältnis mit Ihnen basiert auf einem mündlichen Mietvertrag, der ungefähr 1996 zwischen den damaligen Mietern und dem damaligen Verwalter abgeschlossen wurde. Wir wissen, dass ein Mietvertrag normalerweise der Schriftform bedarf. Unser mündlicher Vertrag hat aber Gültigkeit, da wir seit über zehn Jahren pünktlich den fälligen Mietzins zahlen und so weiter und so weiter, oder wollen Sie wieder die Vollversion?«
Das ist der Text, den uns Francesco eingetrichtert hat. Ich fürchte, damit treiben wir Herrn Wohlgemuth irgendwann zur Raserei. Die Wange zuckt schon wieder.
»Und Sie glauben immer noch, dass Sie damit durchkommen, Sie… Bande?«
»Ja, Herr Wohlgemuth.«
»Sie… Sie werden sich noch wundern. Ich zieh jetzt noch ganz andere Saiten auf. Das war erst der Anfang, Herr Krachowitzer, das war erst der Anfang!«
Seine Stimme beginnt, kieksig zu werden, und er fingert nach seinen Zigaretten. Zeit, das Gespräch zu beenden.
»Auf Wiedersehen, Herr Wohlgemuth.«
So, Tür zu. Wo ist Amelie? Na klar. Versucht mit ihrer sanften Stimme Gonzo wieder ins Diesseits zu holen, während Tobi ihn immer noch festhält. Das kann dauern. Ich hole mir mein Bier und sehe noch mal nach meinem Zimmer. Die Staubwolke hat sich inzwischen etwas gelegt. Dieser Mörtel-Duft
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