Kaltduscher
hat was. Ich finde ja, dass man im Lauf der Zeit viel zu viele Dinge ansammelt und viel zu lang wartet, bis man mal was wegwirft. Der Staub, der sich hier über meine Sachen gelegt hat, hat mit einem Schlag ganz mutig alles in Frage gestellt. Ich werde jedes Stück einzeln in die Hand nehmen und mich fragen: »Abstauben oder wegwerfen?« Vielleicht war das das Beste, was mir passieren konnte.
Ob mein Computer noch geht? Muss ich mal ausprobieren. Aber nicht heute. Ich trenne meine Zeitzonen immer ganz klar. Wenn das erste Bier getrunken ist, wird nicht mehr gearbeitet. Und meinen Computer zum Laufen zu bringen bedeutet immer Arbeit, selbst wenn er nicht völlig eingestaubt ist.
»Das sieht ja furchtbar aus hier.«
Amelie.
»Hm, ja, schon irgendwie.«
Sie… sie hat meinen Arm berührt.
»Komm, ich helf dir mal das Gröbste wegzuräumen. Scheint ja sonst keinen von den Dödels da zu interessieren.«
»Hm, ach lass mal. Mach ich lieber morgen. Ich hab jetzt Feierabend.«
»Aber wo willst du denn schlafen?«
»Na, ich geh einfach aufs Gästehochbett im Flur.«
»Okay. Ach, was ich dich vorhin schon fragen wollte, was ist eigentlich mit deiner Hose passiert?«
Verflixt, sie hat mich gerade gefragt, wo ich schlafen will. Und ich sage einfach, auf dem Gästehochbett. Ich meine, nicht dass ihre Frage jetzt eine mit roten Herzen verzierte Büttenpapier-Einladung in ihr kuscheliges Studentenwohnheimzimmer gewesen wäre, aber darauf einfach wie aus der Pistole geschossen »auf dem Gästehochbett« zu antworten, das ist schon fast eine Form der Zurückweisung, oder? Ich hätte wenigstens kurz zögern sollen. Mann.
»Äh… was?«
»Deine Hose. Da ist ein riesiger Riss im rechten Bein.«
»Ach ja, die Hose.«
»Das lohnt sich nicht mehr, die zu nähen.«
»Das war heute auf der Arbeit. Beim Kunstschleppen. Da stand eine Schraube aus der Kiste.«
»Und was war da für Kunst drin?«
»Ähm…«
Dreck, ich habe keine Ahnung. Auf was für Fragen Frauen immer kommen…
»Bin mir nicht ganz sicher. Vielleicht was von der Giacometti-Ausstellung…«
Giacometti. Das war gut. Alle mögen Giacometti.
»Irgendwie kenne ich dich nur in dieser Hose. Du hast doch hoffentlich noch andere, hihi?«
»Na ja, eine Jogginghose und, ach ja, ich hab noch einen Anzug für alle Fälle.«
»Kauf dir doch einfach noch mal die gleiche Hose. Die steht dir wirklich gut.«
»Geht nicht. Das ist eine bulgarische Konditorhose. Die hab ich vor zwei Jahren im Urlaub in einem Berufsausstattungsgeschäft in Plowdiw gekauft.«
Ich schütte Amelie mein Herz aus. Das männliche Hosenproblem in allen Facetten. Ich schwöre, jede andere hätte mir nach diesem Monolog einen Vogel gezeigt. Aber nicht Amelie. Die hört zu, die versteht.
»Pass auf, hast du morgen nach Vormittag Zeit?«
»Ja, schon.«
»Dann treffen wir uns doch einfach irgendwo und suchen eine neue Hose für dich, okay?«
Okay? Das ist so was von okay, ich finde kaum Worte.
Wir trollen uns zurück in die Küche. Ich vernichte langsam mein Bier und verwickle gemeinsam mit Amelie und Tobi den immer noch wutzitternden Gonzo in Gespräche, in denen die Wörter Pressluft, Bauarbeiter, Mietvertrag und Wohlgemuth kategorisch ausgeklammert bleiben.
Boss Dominator
Wenig später tänzeln Hendrik und Francesco mit einem fröhlichen »Zeit für Musi-hik!« durch die Küchentür. Hendrik in Zimmermannshose mit Holzspänen dran und Francesco in seiner Rechtsanwaltskluft, nur dass er sich jetzt den Schlips statt um den Hals um die Stirn gebunden hat.
Ach ja, die Probe. Es ist ja nicht so, dass ich keine Lust hätte, aber, sagen wir mal so: Spielt ein Mensch in einer Band, so sollte sie für ihn ein Quell der gepflegten Entspannung sein und der Proberaum ein Ort, an dem er seinen Alltag weit hinter sich lässt und tief durchatmen kann, ohne dabei auch nur ein Molekül seiner gewohnten Umgebung in die Lunge zu bekommen. Und wenn der Mensch nach einigen Stunden konzentrierten Musizierens mit handverlesenen Bandkollegen, die ihm sowohl vom Musikgeschmack als auch vom Niveau her in idealer Weise gleichen, wieder den Proberaum verlässt, fühlt er sich wie neu geboren und widmet sich, gestärkt von der Kunst, wieder den Fährnissen des Alltags und freut sich nebenbei auf den nächsten Auftritt.
So weit die Theorie. Die Band, mit der ich zweimal in der Woche im Proberaum abschwitze, sieht aber so aus:
Keyboards: Tobi
Gitarre: Gonzo
Bass: Francesco
Schlagzeug: Hendrik
Singen: Ich
So
Weitere Kostenlose Bücher