Kaltduscher
nicht so leicht, weil wir uns beide an entgegengesetzten Enden befinden.
Ich sehe jetzt Dinge, die mir während unserer Nahkampfbegegnung entgangen sind. Sie hat ein enges burgunderfarbenes Top mit ein bisschen Glitzer drin an, einen lustigen Puschel-Zopfgummi als Armband, und ihre Haarspitzen scheinen ein klein wenig mehr den Gesetzen der Schwerkraft zu gehorchen als sonst. Nichts deutet darauf hin, dass sie sich mit Männern prügeln würde. Das waren alles sehr unglückliche Umstände. Ich ertappe mich dabei, sie sexy zu finden, und bekomme sofort Schuldgefühle. Aber es ist nun mal wahr. Sie sieht zum Anbeißen aus – auch wenn ich ahne, dass es sofort die nächste Kampfrunde zwischen uns geben würde, wenn ich das offen ausspräche. Aber seltsam. Irgendwie hat die Rangelei eine Art, nun ja, Brücke zwischen uns hergestellt. Nicht nur, dass ihr Duft noch an mir dranhängt. Ich spüre in diesem Moment tatsächlich eine stärkere Verbindung zu ihr, als ich sie, sehen wir der Sache ins Gesicht, jemals zu Amelie hatte.
Ist aber wohl mehr so was wie bei Harry Potter und Voldemort. Wahrscheinlich muss einer von uns in einem superheftigen Endkampf sterben, damit irgendeine geheime Prophezeiung in Erfüllung geht und die Erde wieder ins Gleichgewicht kommt.
*
Ich glaube nicht, dass irgendjemand im Raum jetzt noch weiß, wie viel Uhr es ist. Nur dass es irgendwie schon wieder hell draußen ist, gibt einem einen ungefähren Anhaltspunkt. Es ist fast noch genauso voll wie zu Beginn von Tobis und Gonzos Set. Die beiden kennen einfach keine schwachen Momente. Aber Tobi wird bald eine Esspause brauchen, das sehe ich ihm an.
Die meisten Leute haben nur noch das absolut Nötigste am Leib. Staubgefärbter Schweiß rinnt über nackte Arme und Beine. Sogar Punk-Erwin hat seine Stacheldraht-Lederjacke ausgezogen, was er sonst nie tut. Julia, die ihren Groll längst vergessen hat, tanzt Rücken an Rücken mit ihm. Ob ihr schon aufgefallen ist, dass sie ein kleines Veilchen hat? Ich muss schon wieder an Harry Potter denken. Klar, die Narbe, die ihm Voldemort zugefügt hatte. Die tat immer weh, wenn dieser fiese Sack an ihn dachte, auch wenn er noch so weit entfernt war. Ob Julia auch das Veilchen juckt, wenn ich… Tatsächlich sie hat sich gerade das Auge gerieben. Kann aber auch ein Schweißtropfen gewesen sein.
Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter.
»Hi. Krach!«
»Arne! Jetzt wirds aber Zeit. Warum kommst du erst jetzt?«
»Wir haben heute endlich die Firewall zum Fileserver des Gesundheitsministeriums geknackt. Da wollten wir uns dann natürlich noch ein wenig umsehen.«
»Na dann Prost.«
»Prost. Sag mal, du hast doch erzählt, dass du ein Staubproblem mit deinem PC hast?«
»Ja, aber das willst du dir doch nicht etwa jetzt ansehen?«
»Och, nur so als Erholung. Mal bisschen Hardware fummeln. Schon ewig nicht mehr gemacht.«
»Na, wenn du unbedingt willst, dann hol dir von Francesco den Schlüssel zu seinem Zimmer. Da haben wir den ganzen Kram hingeräumt.«
»Okay.«
Francesco flirtet gerade mit kessen Hüftschwüngen ein paar mir unbekannte Mädels an. Ihnen scheint nicht klar zu sein, dass das eine ironische Geste ist. Hoffentlich sind sie nicht enttäuscht, wenn sie erfahren, dass ihr großartiger Herr Geschichtenerzähler in den festen Händen eines gehobenen Friseurmeisters in der Mommsenstraße ist. Hacker-Arne steuert wie eine ferngesteuerte Rakete auf ihn zu, lässt sich den Schlüssel geben und ist weg.
Reto tanzt mitten im Getümmel. Irgendwas hat sein Gesicht auf Dauerlächeln geschaltet. Er ist der Einzige im Raum, der kaum schwitzt und immer noch eine gesunde Gesichtsfarbe hat. Die Schweiz muss Zauberkräfte besitzen. Das haben wohl auch die beiden Werbeagenturfuzzis erkannt, die, obwohl sie völlig stoned sind, alle zehn Minuten versuchen, ihm noch mehr von seinem Bio-Gras aus der Tasche zu leiern. Noch krasser ist der Drogenpegel der beiden Kunstgalerie-Koksparty-Veranstalter aus dem Erdgeschoss, die sich inzwischen auch eingefunden haben und mit tellergroßen Augen und irren Lachern durch die Staubwolken pflügen. Nur Hendrik ist irgendwie schon länger weg. Wahrscheinlich mit Miriam an einem stillen Ort. Die beiden haben sich schon die ganze Zeit so intensiv… he, warum ist auf einmal die Musik aus?
»Meine Damen und Herren, wir kommen nun zum Höhepunkt der Party.«
Nein! Nehmt Caio bitte das Mikro weg! Sofort!
»Wie wir alle wissen, wird heute die berühmte namenlose
Weitere Kostenlose Bücher