Kaltduscher
noch nicht, aber ich hab ihn trotzdem mal in Sicherheit gebracht.
Neben Francescos Zimmer ist Tobis Zimmer. Das größte von allen. Früher war es Hendriks Zimmer. Als er ausgezogen ist, haben wir ausgewürfelt, wer es bekommt. Gonzo und ich haben zwar am Tag danach rausgekriegt, dass Tobi uns mit Trickwürfeln beschissen hatte, die nur Einsen, Zweien und Dreien würfeln konnten, aber da hatte er sein neues Reich schon längst eingerichtet, und sein Gelsenkirchener-Barock-Sideboard, zehn laufende Meter Jazz- und Easy-Listening-Trash-Platten und zu guter Letzt noch dutzende schwere Kartons mit Manga-Comics wieder zurück an den alten Platz zu tragen, das haben wir dann doch lieber gelassen, obwohl ich eigentlich ziemlich scharf auf den Ausklappbalkon war.
Francesco thront in Tobis Ohrensessel in der Zimmerecke und erzählt Geschichten. Wenn er gut in Form ist, kann er jedem DJ das Partypublikum streitig machen, und auch heute scheint er auf dem besten Weg dahin zu sein. Er spinnt die Sage von König Midas virtuos zu einem schrillen Tuntenspektakel um, und alle hängen gebannt an seinen Lippen. Ich höre ein wenig zu. Unglaublich, dieser Typ. Das macht er alles aus dem Handgelenk, aber wenn man ihn bitten würde, das aufzuschreiben – niente.
»Krach, hab dich schon gesucht.«
»Hallo, Caio.«
Mein Freund und Agent hat immer gute Laune, aber heute anscheinend ganz besonders. Seine pechschwarzen Haare stehen noch mehr ab als sonst, seine listigen kleinen Augen blitzen, und sein Lächeln geht von Ohr zu Ohr. Um das Bild perfekt zu machen, trägt er auch noch einen locker gebundenen Smiley-Schlips um den Hals.
»Hör mal, du wirst es nicht glauben, aber ich habe seit gestern einen direkten Draht zum NDR.«
»Oh, toll. Das war also das Kundengespräch gestern?«
»Yep. Ich hab gehört, ihr spielt gleich noch?«
»Nein! Wer erzählt so einen Müll?«
»Na, es gibt da so ein Gerücht.«
»Hör gut zu: Es gibt Getränke, es gibt Dope, es gibt Musik, es gibt den besten Geschichtenerzähler der Welt – wer will sich denn da bitte schön noch von einer komplett hirn-, belang- und konzeptlosen Band den Abend verderben lassen?«
»Na, das verpetz ich mal besser nicht deinen Mitmusikern. Aber Spaß beiseite – ich will heute was hören. Ich bin dein Agent, ich muss wissen, was du kannst, Freundchen… kleiner Scherz.«
»Niemals. Vergiss es.«
»Na, komm wieder runter. Oh, entschuldige, da sehe ich noch einen potentiellen Klienten für mich.«
»Vollbart-Lukas? Hör auf.«
»Wenn du dir keinen Fusselbart wachsen lässt, muss ich mich halt anderweitig umsehen.«
»Verschwinde.«
Na toll. Ich bekomme also meine Jobs über einen Agenten, der auch Kneipenbedienungen ohne jegliche Schauspielerfahrung wie Lukas als Klienten anwirbt, nur weil sie einen Bart haben. Bin wohl karrieretechnisch wirklich an einem Punkt, von dem aus es nur noch bergauf gehen kann. Während ich Tobis Zimmer verlasse, merke ich, dass mich diese Erkenntnis gar nicht so verbittert. Ich habe halt alles noch vor mir. Und, wie gesagt, die Talkshows später. Wenn ich erzähle, wie mir mein erster Agent einen Fusselbart einreden wollte, werden sie mich noch mehr lieben.
Auf dem Flur werde ich schon wieder angesprochen, wann wir denn nun endlich spielen, aber ich winke einfach nur noch ab. In Retos Zimmer fläzt sich das Volk auf Kissen und Matratzen. Reto führt mit einigen unserer Küchendauergäste ein intensives Fachgespräch über ökologischen Hanfanbau, und um sie herum werden eifrig Produkttests durchgeführt. Tobi steht daneben, inhaliert Essig-Kartoffelchips und schüttelt von Zeit zu Zeit den Kopf.
»Ich habe das Gefühl, dass wir hier in eine Generation hineinwachsen, die synthetische Drogen aus Prinzip verachtet.«
»Na und?«
»Das verstehst du nicht. Mein Pharmazeutenherz blutet.«
»Sag mal, äh, wo steckt Amelie eigentlich?«
»Hat mir vorhin ne SMS geschickt. Muss sich um Lambert kümmern. Der arme Kerl ist völlig runter.«
»Verstehe.«
So, jetzt Mut.
»Hast du Lambert schon gesehen?«
Raaaah, das wollte ich nicht fragen. Ich wollte fragen, wie man Amelies Herz…
»Ja, aber nur ganz kurz. So ne Promenadenmischung halt, und ganz schön mager. Der braucht jetzt erst mal ein paar Extraportionen Chappi und ganz viel Liebe.«
Wir schlendern aus Retos Zimmer und setzen uns im Flur auf den Inzaghi-Hass-Altar. Direkt vor unseren Augen wackelt Punk-Erwins breiter Rücken hin und her. Er führt ein aggressives Streitgespräch
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