Kaltduscher
weißt du, was ich meine?«
Tobi hält mir netterweise die Ohren zu, so dass ich die Fortsetzung des Gesprächs nicht höre. Das wäre jetzt auch wirklich etwas viel. Hendrik sitzt immer noch mit seiner Kumpelrunde um den Küchentisch herum.
»Was höre ich da? Ihr wollt ausziehen?«
»Na ja, war so angedacht.«
»Der Wohlgemuth mit seiner Bauerei halt, weißt schon.«
»Na prima, dann kommt doch auch alle nach Klein Ziethen. Wir suchen noch Leute für die große Scheune. Da muss man nur noch das Dach…«
»Nein, lass mal Hendrik.«
»Und den Proberaum könnten wir im alten Kuhstall einrichten. War doppelt so groß wie hier.«
»Nee, wir wollen in der Stadt bleiben.«
»Übrigens, der Toaster ist irgendwie kaputt.«
»Was? Der gute alte Rowenta? Kann doch gar nicht sein. Das ist 1a-Westware.«
»Gestern hat was geschmurgelt.«
Noch während Tobi das Wort »geschmurgelt« ausspricht, hat sich Hendrik schon das Ding geschnappt und begonnen, es mit einem Universalwerkzeug, das er ungefähr drei mal so schnell aus seiner Gürteltasche gezogen hat wie Lucky Luke seine Knarre, auf dem Küchentisch zu zerlegen.
»Also hin und wieder mal die Krümel rausmachen solltet ihr schon.«
»Das waren aber nicht die Krümel, da hat richtig was geschmurgelt.«
»Und Blitze sind auch rausgekommen.«
»Hm, riecht wirklich bisschen nach Schmorplaste. Beppo, halt mal die Lampe…«
Wir verfolgen mit angehaltenem Atem die Toaster-OP. Hätte ich gerade über Schmerzen im Unterleib geklagt, hätte mir Hendrik wahrscheinlich auch noch schnell den Blinddarm rausgenommen.
»Tobi, komm mal. DJ-Rainer will abgelöst werden.«
»Pssst! Das hier ist eine klassische Der-blaue-Draht-oder-der-Rote-Draht?-Situation. Wenn Hendrik einen Fehler macht, fliegen wir alle in die Luft.«
»Aber Rainer kann nicht mehr. Seit er die Pille genommen hat, die du ihm gegeben hast, verwechselt er dauernd Plattenspieler und Laptop.«
»Oh… okay.«
Tobi reißt sich vom Toastergedärm im Taschenlampenlicht los, geht zur Tür, räuspert sich kurz und ruft mit der unvergleichlichen Heinz-Erhardt-auf-Ecstasy-Stimme, die er immer benutzt, wenn er was anzukündigen hat, in den Flur.
»Freunde, es ist so weit! In wenigen Sekunden bricht das wüsteste James-Last-trifft-Walter-Wanderley-Massaker, das die Stadt je erlebt hat, über euch herein! Also schnallt euch an… ach, und kann bitte jemand DJ-Rainer sagen, dass er ganz viel Wasser trinken soll?«
Typische Tobi-Ankündigung. Keiner weiß genau, was auf uns zukommt, aber alle setzen sich in Bewegung. Wenn er und Gonzo am Pult sind, ist es immer wichtig, sich früh genug um einen guten Platz auf der Tanzfläche zu kümmern. Nur Hendrik bleibt sitzen und zieht noch schnell ein paar Toaster-Schrauben an.
Wir erreichen den Dustroom gerade noch rechtzeitig vor der großen Menschenmasse, die aus Tobis Zimmer herausquillt. Francesco hat wohl angesichts des bevorstehenden Musikereignisses seine Geschichte ganz schnell zu Ende gebracht.
»Seid ihr bereit, für die Heroen der Hammondorgeln, die Schamanen der Schnauzbärte, die Magier des miesen Musikgeschmacks, Tobiiiii und Gonzoooooo?«
Keine Ahnung, woher Caio auf einmal das Mikro hat, aber auch keine Zeit, darüber nachzudenken. Tobi ist noch schnell in seinen weißen Strass-Anzug geschlüpft und Gonzo in sein Hemd mit den lodernden Flammen drauf. Schon allein deswegen hebe ich sie. Andere DJs tun einfach nichts für die Show. Die glauben, es reicht, wenn ihr Kopfhörer dicker ist als der der anderen.
Neben dem Pult sitzt DJ-Rainer auf dem Boden, ein riesiges Glas Wasser in der Hand und den zugeklappten Laptop, aus dem eine LP herausragt, auf dem Schoß. Kaum ist Caios letztes Wort verklungen, faucht irgendeine bis zur Unkenntlichkeit verzerrte 60er-Jahre-Unterhaltungsmucke durch die Boxen, und Gonzo hat die Rhythmusmaschine dazu angeschmissen. Die Mischung ist unwiderstehlich bösartig. Das Tanzvolk gerät in Ekstase und der Staub fliegt binnen Sekunden bis an meine immerhin knapp vier Meter hohe Decke.
Hendrik kommt als Letzter ins Zimmer gestürmt und macht einen Hechtsprung mitten ins Getümmel. Er kann sich so was leisten. Hätte ich das versucht – jede Wette, dass ich wieder auf irgendeine Weise mit Julia zusammengeknallt wäre. Ich sehe sie am äußersten Rand meines Blickfelds. Irgendwie scheint sie den Punkt auf der Tanzfläche zu suchen, der ihr gleichzeitig den größtmöglichen Abstand zu mir und zu Punk-Erwin bietet, und das ist gar
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