Kaltduscher
mit Julia über Chauvinismus in der Unterschicht. Mit einiger Mühe kann man die weiße Schmierschrift auf seiner Lederjacke entziffern.
Die wahre Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten.
Passend zum Textinhalt zieht sich ein aufgepapptes Stück Stacheldraht quer über den Lederjackenrücken und unterteilt sie in oben und unten. Tobi schüttelt den Kopf und guckt verdrießlich drein.
»Das ist Bullshit. Wenn du mich fragst, gibt es nur eine Grenze, die die Menschheit teilt: die zwischen Hundebesitzern und Nicht-Hundebesitzern.«
Ich lasse seine Worte sacken, frage mich, ob er recht hat, und finde nur Gründe, die dafür sprechen. Vielleicht war Lambert ein Zeichen einer unsichtbaren höheren Macht. Vielleicht soll es einfach nicht sein mit Amelie und mir. Ich rutsche von der Kommode und will mir ein neues Bier holen.
»He, Krach. Bringt mal endlich die Instrumente an den Start!«
Ich schau schon gar nicht mehr nach, wer da gerade geschrien hat.
»Zum letzten Mal: Wir spielen heute nicht!!!«
Das ist wirklich so eine blöde Angewohnheit von mir, dass ich immer, wenn ich meinen Worten Nachdruck verleihen will, mit den Armen rumfuchtle. Erstens sieht es lächerlich aus, zweitens können dann im dichten Gedränge Dinge passieren, die man nicht gewollt hat. Jetzt zum Beispiel. Ich spüre, dass die Knöchel meiner rechten Hand mit voller Wucht in etwas Warmes, Weiches, Lebendiges und ich fürchte irgendwie Gesichtartiges reingehauen haben. Jetzt ist es natürlich ein Unterschied, ob man Francesco, Caio oder Punk-Erwin eine geknallt hat. Bei ersteren beiden kommt man locker mit einer Entschuldigung davon, bei Erwin ist dagegen erst mal eine halbe Stunde Anbrüllen fällig. Schon allein deswegen sollte ich es vermeiden, auf Partys zu fuchteln.
Aber es kann auch noch viel schlimmer kommen, denke ich, als ich in Julias zornglühendes linkes Auge schaue. Es ist nur das linke, denn das rechte hält sie sich gerade mit der Hand zu, weil es wohl den Hauptteil meines Hiebs abbekommen hat. Und just in diesem Moment kommen natürlich noch zwei Dinge dazu, die alles noch mal schlimmer machen: Erstens habe ich sie gestern schon mal aus Versehen gehauen, als ich sie für Francesco gehalten habe, und zweitens ist sie gerade sowieso schon auf 180, weil sie sich zu lange mit Punk-Erwin unterhalten hat.
Wir wechseln einen kurzen Blick. Was sie dabei aus einem Auge abfeuert, würde ich nicht mal mit fünfen fertigbringen, denke ich noch kurz, bevor wir in eine wilde Abfolge von reflexgesteuerten Handlungen hineinfallen, die uns endgültig ins Zentrum der Flur-Aufmerksamkeit heben: Julia haut mir ihr Knie zwischen die Beine, so wie sie es in ihren Frauen-Selbstverteidigungskursen gelernt hat, ich kann den Stoß mit einer panischen Handbewegung, die wahrscheinlich schon seit Jahrtausenden unauslöschbar in das männliche Erbgut eingeschrieben ist, abwehren, verliere das Gleichgewicht, halte mich irgendwo fest, merke erst zu spät, dass ich mich an Julia festhalte, falle um, sie auf mich drauf, und wir werden zu einem wüst verknoteten Arm- und Beinknäuel. In den nächsten Sekunden weiß keiner der Umstehenden so recht, ob das, was wir hier gerade machen, Kampfhandlungen oder Aufstehversuche sind. Und das Fatale ist, wir selbst wissen es auch nicht. Wir interpretieren nur. Und weil in diesen Momenten jeder, wie im Krieg, nur das Schlechteste vom anderen annimmt, deuten wir die Bewegungen des anderen im Zweifelsfall immer als Angriff. Das führt einige Male dazu, dass ein eigentlich harmloser Aufstehversuch des einen von einem verzweifelten Gegenangriff des anderen unterbunden wird und umgekehrt und so weiter. Erst nachdem wir uns eine kleine Ewigkeit lang immer wieder gegenseitig umgeschubst haben, kommen wir durch eine glückliche Fügung doch noch beide auf die Beine.
Wir sehen uns noch einmal an. Julia schnaubt, dann dreht sie sich energisch um wie Cleopatra im Asterix-Heft und verzieht sich in Tobis Zimmer. »Das war keine… Absicht«, rufe ich noch hinterher, aber sie ist längst außer Hörweite. Dann schweife ich kurz geistig ab und denke zum ersten Mal seit meiner Kriegsdienstverweigerung über Krieg und seine Hintergründe nach. Tobi drückt mir mein leeres Bierglas in die Hand und schubst mich aus der Arena Richtung Küche.
»So eine Mann-Frau-Catchernummer könnten wir doch für den Frische-Deo-Spot nehmen?«
»Du meinst, so genderfightmäßig?«
»Nein du, mehr so unisexmäßig,
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