Kaltduscher
mach es dir gemütlich…«
»… und Film ab.«
Reto gehorcht uns aufs Wort. Er steht zwar immer noch auf, um den Fernseher anzumachen, statt ihn mit den Zehen zu bedienen, aber solche Kniffe muss er halt mit der Zeit noch lernen.
Ich schau noch mal bei Gonzo rein. Amelie kauert neben seiner Matratze, krault ihm die Haare und schnurrt beruhigend auf ihn ein. Er ist immer noch im bösen RS2-Paralleluniversum.
»… and I’m sure you can show meeeee…«
Amelie versucht, Zuversicht auszustrahlen.
»Er singt jetzt immerhin schon ganze Lieder am Stück und wechselt nicht mehr alle drei Sekunden.«
»Wir gucken Brazil in der Küche. Und frisches Augustiner haben wir auch. Das bringt ihn vielleicht auf andere Gedanken?«
»Lieber noch nicht. Wir stoßen vielleicht nachher dazu.«
Hm, das gefällt mir irgendwie nicht. Die Dächer, auf denen meine Tauben sitzen, werden immer höher. Oder werde ich immer kleiner?
Pünktlich zum Filmstart hängen wir mit drei frischen Bieren auf den Sitzen. Tobi und ich haben uns zwar vorgenommen, nur den Anfang mitzusehen, aber nach einigen Joints sind wir so weit, dass es sich nicht mehr lohnt, noch auszusteigen. Vollbart-Lukas und die üblichen Verdächtigen haben sich nach und nach auch eingefunden, und Lambert ist auf meinem Schoß eingeschlafen.
Robert De Niro alias Anarchisten-Klempner Tuttle flüchtet per Seil in die Häuserschluchten.
»Unglaublirch, all diese Röhren, odrch?«
Ich beneide Reto dafür, dass er den Streifen noch ganz jungfräulich genießen kann. Man müsste sich die besten Filme aus dem Gedächtnis löschen können. Einfach, um sie immer wieder neu zu sehen. So wie die dekadenten Römer mit ihrer Pfauenfeder… Blöde Werbepause. Schon wieder. Was da immer für Lebenszeit vernichtet wird.
»Der Film hat mirch auf eine Idee gebracht. Wirch könnten doch untrch dem Gästehochbett ein zweites WC installierchen, odrch?«
»Ach, Reto.«
»Viel zu viel Arbeit.«
»Außerdem ziehen wir doch sowieso bald aus.«
»Ist das wirklirch sichrch?«
»Na ja…«
Oh, SMS von Julia.
arschloch
»Fiep?«
»Ach, Lambert. Das besprechen wir morgen.«
Beeeeert
Warum muss es ausgerechnet heute so brüllend heiß sein? Die Asphaltwüste vor dem Hauptbahnhof ist weicher als eine Grundschul-Turnmatte, und ich mache mir Sorgen, dass das gesamte Kinderkanal-Sommerfest gegen Mittag bei Sonnenhöchststand im Boden versinken wird. Einschließlich dem zehn Meter hohen Bemd-das-Brot-Kletterturm, der als letzte Worte bestimmt noch einmal leise »Mist« sagen würde.
Aber malen wir den Teufel nicht an die Wand. Noch wuseln überall Kinder herum, lachend, weinend, brüllend, staunend, bettelnd, sabbernd, schlafend, Hosen voll habend. Dazwischen leiden die Eltern. Am schlimmsten sind die dran, die ihre Bälger auf den Schultern tragen müssen, damit sie die hoffnungslos belagerte Bühne sehen können, auf der die Figuren aus den Kika-Sendungen als überdimensionale Puppen herumhüpfen.
Leider muss ich genau da hin. Ich werde natürlich schief angeschaut, weil ich mich als Erwachsener ohne Kind einfach so nach vorne wühle, aber wenn es mir zu blöd wird, setze ich zwischendurch einfach ein verzweifeltes Gesicht auf, werfe panische Blicke um mich und rufe: »Oskar, Oskaaaaar!«
Ich muss wirklich zusehen, dass ich vorankomme. Gleich wenn die Jungs von Raumfahrer Jim von der Bühne runter sind, kommt Ernie. Mit meiner Stimme. Das will ich nicht versäumen, so peinigend das Ganze hier auch ist.
So, weiter geht es für mich nicht. Die letzten Meter vor der Bühne sind für die süßen Kleinen reserviert. Wenn ich da über die Absperrung steige, würde ich sofort gelyncht. Auch wenn ich noch so laut »Aber ich bin doch Ernie!« brülle. Lieber nicht. Ich habe schließlich heute noch Termine. Gleich nachher bin ich wieder mit Amelie zum Hosenkaufen verabredet. Sie kam gestern noch zur Schlussviertelstunde von Brazil dazu. Gonzo hatte endlich aufgehört zu singen und war eingeschlafen. Muss ein hartes Stück Arbeit gewesen sein. Sie wirkte erschöpft. Aber als sie mich dann immer noch in den doppelt umgekrempelten Reto-Jeans herumsitzen sah, erinnerte sie sich auf einmal, dass sie auch noch andere Fälle hatte.
Die Raumfahrer-Jim-Jungs verabschieden sich. Ernie und Bert kommen mit großem Hallo auf die Bühne. Das Playback setzt ein.
»Beeeeert, weißt du, in welcher Stadt wir heute sind?«
Wahnsinn!
Hier stehen mehr als tausend Leute und hören mir zu. Den Einleitungsdialog
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