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Kalte Fluten

Kalte Fluten

Titel: Kalte Fluten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Westerhoff
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richtigen Worte.
    »… tun, was du willst«, half ihr Günter.
    »Genau«, sagte Wiebke.
    »Das kann ich nachvollziehen. Mir würde es genauso gehen«, erwiderte er, während er begann, das weiße Billy-Regal von Ikea um Wiebkes Taschenbücher zu erleichtern und sie in eine mit »Literatur« gekennzeichnete Kiste zu packen.
    »Günter?«, fragte Wiebke drucksend, die gerade Minka streichelte und kraulte. »Ich habe eine große Bitte.«
    »Ich weiß«, sagte Günter. »Ich soll Minka in Pflege nehmen. Ich habe mich schon gefragt, wie dieser Sauberkeitsfanatiker Thomas mit einem Haustier zurechtkommen würde. Natürlich nehme ich sie. Ich passe gut auf sie auf.«
    Als ob die Katze alles genau verstanden hätte, wandte sie sich von ihr ab, ging zu Günter und schnurrte ihn an. Dann ließ sie sich auch von ihm liebkosen.
    »Danke«, sagte Wiebke, die einen Stich in ihrem Herzen fühlte und glänzende, feuchte Augen bekam. »Danke.«
    ***
     
    »Und du bist dir sicher, dass du das willst?«, fragte Daniel, als Thomas gerade am Steuer drehte, um den Kurs von bisher dreihundertsechzig Grad magnetisch Nord auf neunzig Grad magnetisch Ost zu verändern. Mit anderen Worten: Thomas versuchte gerade, möglichst rechtwinklig zu wenden. Schließlich sollte das Garmin GPS auch heute wieder ein perfektes Quadrat auswerfen.
    Das war Thomas’ Art, mit dem Boot zu fahren. Andere mochten das für verrückt halten. Ihn beruhigte es.
    »Natürlich, Daniel«, erwiderte Thomas. Als der Kurs anlag, überließ er dem Autopiloten die weitere Steuerung der Jacht. »Zweifelst du daran?«
    »Ich zweifle nicht. Ich frage mich, ob du zweifelst.«
    »Hör mal, sie ist eine tolle Frau.«
    »Ich habe sie nie kennengelernt. Bislang.«
    »Sie hat ein Problem mit dir«, sagte Thomas vorsichtig.
    »So? Was hat sie denn?«
    »Du weißt schon. Die Sache mit unseren Eltern.«
    »Das hast du ihr erzählt? Warum?«
    »Was sollte ich machen? Ehrlichkeit gehört zu einer Beziehung dazu.«
    »Mag sein. Bist du denn auch wirklich überzeugt, dass sie immer ehrlich zu dir ist?«
    »Natürlich«, sagte Thomas wie aus der Pistole geschossen.
    »Das kam zu schnell«, warf Daniel ein.
    »Na ja«, gab Thomas zu. »Da ist die Sache mit dem Körperlichen. Du weißt, dass Sex für mich eher unwichtig ist. Eigentlich stößt er mich sogar ab. Diese nassen Unterleiber. Dieses Gestöhne und Gequieke. Aber sie scheint es zu mögen. Weißt du, was sie vor zwei Wochen versucht hat?«
    »Nein, erzähl!«
    »Wir lagen bei mir im Bett. Sie fing an, mich … Also, sie fasste mein Geschlechtsteil an. Und dabei wanderte ihr Mund über meine Brust immer tiefer.«
    »Immer tiefer?«
    »Ja. Sie hat doch tatsächlich versucht, meinen Penis in ihren Mund zu nehmen.«
    »Was du hoffentlich verhindern konntest!«
    »Natürlich, ich bin doch nicht pervers.«
    »Hat sie was dazu gesagt?«
    »Nein. Aber ich hatte den Eindruck, dass sie traurig war.«
    »Denk an unsere Eltern. Papa war ein perverser Widerling, der mich missbraucht hat. Mama hat dazu nie etwas gesagt.«
    »Das stimmt.«
    »Siehst du? Frauen tun immer das, was ihre Männer von ihnen verlangen. Wahrscheinlich dachte deine Freundin –«
    »Verlobte, Daniel, sie ist meine Verlobte.«
    »Meinetwegen, deine Verlobte. Wahrscheinlich dachte sie, sie müsste das bei dir tun, weil sie es immer bei den anderen Männern tun musste. Wahrscheinlich ist sie sogar heilfroh, dass du das nicht willst.«
    »Das glaube ich auch, Daniel.«
    Es wurde Zeit, den Kurs von neunzig Grad Ost auf hundertachtzig Grad Süd zu korrigieren. Für eine Weile war Thomas vollauf mit der Navigation beschäftigt.
    Nachdem die Wende vollzogen war, fragte Daniel: »Sag mal, wie geht es eigentlich diesem Hauptkommissar? Wie hieß er noch gleich?«
    »Wolfgang. Wolfgang Franke.«
    »Genau der. Wie geht es ihm?«
    »Daniel. Darüber kann ich dir wirklich nichts sagen. Er ist mein Freund und er ist mein Patient. Da muss ich diskret sein.«
    »Komm schon, ich bin dein Bruder.«
    Thomas überlegte kurz. Es täte ihm schon gut, Wolfgangs Geschichte zu erzählen. Auch wenn er es nie offen zugeben würde: Hin und wieder belastete ihn sein Beruf. Aber die ärztliche Schweigepflicht war für ihn doch eine absolute Grenze. Dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Er brauchte einen Vertrauten. Selbst er brauchte einen Menschen, dem er alles erzählen konnte. Alles, und sei es noch so geheim, noch so persönlich und noch so verschworen. Der Partner konnte es nicht allein

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