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Kalte Herzen

Kalte Herzen

Titel: Kalte Herzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tess Gerritsen
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hörte ihre wütenden Fragen, ihre Forderungen nach einer Erklärung.
    Abby bückte sich und hob das Pinewood-Derby-Band auf, das Vivian fallen gelassen hatte. Es war grün – nicht die Auszeichnung für den Sieger, sondern bloß eine ehrenvolle Erwähnung für die Stunden, die er in mühseliger Arbeit über einem Holzklotz zugebracht hatte, das Schleifen und Lackieren, das Hineinschlagen der Bleigewichte, damit das Holz besser rollte. All diese Mühe mußte belohnt werden. Das Selbstwertgefühl von kleinen Jungen mußte gestärkt werden.
    Vivian kam zurück. Sie war aschfahl und sagte kein Wort. Sie stand am Fußende von Joshs Bett, starrte auf den Jungen hinab und beobachtete, wie seine Brust sich mit jedem Zischen des Beatmungsgeräts hob und senkte.
    »Ich verlege ihn«, sagte sie plötzlich.
    »Was?« Abby sah sie ungläubig an. »Wohin?«
    »Ins Massachusetts General. In die Transplantationsabteilung dort. Machen Sie Josh für den Transport fertig. Ich erledige die nötigen Anrufe.«
    Die beiden Schwestern rührten sich nicht. Sie starrten Vivian an.
    »Er ist nicht transportfähig«, protestierte Hannah.
    »Wenn er hier bleibt, werden wir ihn verlieren«, sagte Vivian.
    »
Wir werden ihn verlieren.
Wollen Sie, daß das geschieht?«
    Hannah blickte auf die schmächtige Brust, die sich unter dem Waschlappen hob und senkte. »Nein«, sagte sie. »Ich will, daß er lebt.«
    »Ivan Tarasoff war mein Medizinprofessor in Harvard«, erklärte Vivian. »Er ist der Leiter des dortigen Transplantationsteams. Wenn unser Team es nicht macht, dann wird Tarasoff es tun.«
    »Selbst wenn Josh den Transport überlebt«, warf Abby ein, »braucht er noch immer ein Spenderherz.«
    »Dann müssen wir ihm eins besorgen.« Vivian sah Abby direkt an. »Karen Terrios.«
    In diesem Moment begriff Abby genau, was sie zu tun hatte.
    Sie nickte. »Ich werde sofort mit Joe Terrio reden.«
    »Wir brauchen es schriftlich. Sorgen Sie dafür, daß er es unterschreibt.«
    »Was ist mit der Entnahme? Das Bayside-Team können wir nicht einsetzen.«
    »Tarasoff schickt gern seinen eigenen Mann zur Entnahme.
    Wir werden ihm assistieren. Wir werden es ihm sogar bis vor die Haustür liefern. Es darf keine Verzögerung geben. Wir müssen es schnell machen, bevor uns irgend jemand hier aufhalten kann.«
    »Einen Moment«, sagte die andere Schwester. »Sie können keine Verlegung ins Massachusetts General anordnen.«
    »Doch, das kann ich«, entgegnete Vivian. »Josh O’Day ist im Studentenkreis. Damit sind die leitenden Assistenzärzte zuständig. Ich übernehme die volle Verantwortung. Folgen Sie einfach meinen Anweisungen, und bereiten Sie ihn für den Transport vor.«
    »Unbedingt, Dr. Chao«, sagte Hannah. »Ich werde ihn sogar persönlich begleiten.«
    »Tun Sie das.« Vivian sah Abby an. »Also, DiMatteo«, schnarrte sie, »besorgen Sie uns ein Herz.«
    Neunzig Minuten später bereitete Abby sich zur OP vor. Sie spülte ihre Hände ein letztes Mal ab und ging mit angewinkelten Ellenbogen rückwärts durch die Schwingtür in den OP Nr. drei.
    Die Spenderin lag auf dem Operationstisch, ihr blasser Körper war in grelles Neonlicht getaucht. Eine Anästhesie-Schwester wechselte die Infusionsflaschen, Diese Patientin brauchte keine Betäubung. Karen Terrio konnte keinen Schmerz spüren.
    Vivian stand im OP-Hemd mit übergestreiften Handschuhen neben dem Tisch. Ihr gegenüber stand Dr. Lim, ein Nierenchirurg. Abby hatte schon mehrmals mit ihm zusammen operiert.
    Es war ein Mann, der keine Worte verschwendete und für seine flinke, stille Arbeit bekannt war.
    »Unterschrieben und besiegelt?« fragte Vivian.
    »In dreifacher Ausfertigung. Die Unterlagen befinden sich schon in der Krankenakte.« Abby hatte sie selbst getippt, die empfängerbezogene Organspendeneinwilligung, die festlegte, daß Karen Terrios Herz an den siebzehnjährigen Josh O’Day gehen sollte.
    Das Alter des Jungen hatte Joe Terrio schließlich umgestimmt.
    Er hatte am Bett seiner Frau gesessen, deren Hand gehalten und schweigend zugehört, als Abby ihm von dem siebzehnjährigen Jungen erzählt hatte, der ein Baseball-Fan war.
    Wortlos hatte Joe Terrio die Papiere unterschrieben. Dann hatte er seine Frau zum Abschied geküßt.
    Eine Schwester half Abby, das OP-Hemd anzulegen und die Handschuhe Größe sechseinhalb überzustreifen. »Wer führt die Entnahme durch?« fragte sie.
    »Dr. Frobisher von Tarasoffs Team. Ich habe schon mit ihm gearbeitet«, erklärte Vivian. »Er ist auf dem

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