Kalte Herzen
jetzt an die Herz-Lungen-Maschine oder wir verlieren ihn. Vielleicht verlieren wir ihn so oder so.« Wieder wandte er sich vom Hörer ab, diesmal, um jemandem zuzuhören. Als er wieder am Apparat war, sagte er nur noch:
»Wir schneiden. Sehen Sie zu, daß Sie bald hier sind, klar?«
Abby legte auf und berichtete Vivian: »Sie legen Josh einen Bypass. Er hat schon zweimal kollabiert. Sie brauchen das Herz sofort.«
»Ich brauche eine Stunde, um die Nieren freizulegen«, erklärte Dr. Lim.
»Vergessen Sie die Nieren«, fauchte Vivian. »Wir nehmen uns gleich das Herz vor.«
»Aber –«
»Sie hat recht«, unterstützte Frobisher sie. Der Schwester rief er zu: »Vereiste Salzlösung! Und bereiten Sie die Kühlbox vor.
Irgend jemand sollte auch einen Krankenwagen für den Transport organisieren.«
»Soll ich mich noch mal waschen?« fragte Abby.
»Nein.« Vivian griff nach dem Wundsperrer. »Wir sind hier in ein paar Minuten so weit. Wir brauchen Sie für den Transport.«
»Was ist mit meinen Patienten?«
»Ich springe für Sie ein. Hinterlegen Sie Ihren Pieper im OP-Sekretariat.«
Eine Schwester begann, eine Kühlbox mit Eis zu füllen. Eine andere stellte Eimer mit kalter Salzlösung neben dem OP-Tisch bereit. Frobisher mußte keine weiteren Befehle erteilen. Die Frauen waren Kardiologie-Schwestern und wußten genau, was zu tun war.
Frobisher legte mit geschickten Bewegungen des Sklapells das Herz frei. Das Organ pumpte noch, und mit jedem Schlag schoß sauerstoffreiches Blut in die Arterien. Jetzt war es an der Zeit, dieses Herz anzuhalten und die letzte Spur von Leben in Karen Terrio zu löschen.
Frobisher injizierte fünfhundert Milliliter einer hochprozentigen Kaliumlösung in die Wurzel der Aorta. Das Herz schlug einmal. Zweimal.
Und dann blieb es stehen. Es war jetzt schlaff, seine Muskeln durch die plötzlich Kaliuminfusion gelähmt. Abby blickte unwillkürlich zum Monitor. Das EKG zeigte eine Nullinie.
Karen Terrio war endgültig und klinisch tot.
Eine Schwester goß einen Eimer vereiste Salzlösung in die Brusthöhle, um das Herz rasch zu kühlen. Dann machte Frobisher sich an die Arbeit, band ab und schnitt.
Kurz darauf hob er das Herz aus der Brusthöhle und ließ es sanft in eine Schüssel gleiten. Blut kräuselte sich in der kalten Salzlösung. Eine Schwester trat vor und hielt einen Plastikbeutel auf. Frobisher bewegte das Herz in der kalten Flüssigkeit noch ein paarmal, bevor er das gewaschene Organ in den Beutel gleiten ließ. Weitere vereiste Salzlösung wurde hinzugegossen.
Das Herz wurde zweifach verpackt und in die Kühlbox gelegt.
»Es gehört Ihnen, DiMatteo«, sagte Frobisher. »Sie fahren im Krankenwagen mit, ich komme mit meinem Wagen nach.«
Abby nahm die Kühlbox. Als sie schon die Tür des OPs aufstieß, hörte sie, wie Vivian ihr nachrief:
»Lassen Sie es nicht fallen.«
Fünf
I ch halte Josh O’Days Leben in meinen Händen, dachte Abby, als sie die Kühlbox auf ihrem Schoß umklammerte.
Der zur Mittagszeit gewohnt dichte Bostoner Verkehr teilte sich wie durch ein Wunder vor dem flackernden Blaulicht. Abby war noch nie in einem Krankenwagen gefahren. Unter anderen Umständen hätte sie die Fahrt vielleicht sogar genossen, die erhebende Erfahrung, daß Bostons Autofahrer – die rücksichtslosesten der Welt – endlich einmal die Straße frei machten. Doch im Augenblick war sie ganz auf die Fracht in ihren Händen konzentriert und sich der Tatsache nur zu bewußt, daß jede Sekunde, die verstrich, eine weitere Sekunde war, die Josh O’Day zum Leben fehlen konnte.
»Sie haben da drin ein Leben, was, Doktor?« sagte der Krankenwagenfahrer, laut Namensschild ein »G. Furillo.«
»Ein Herz«, sagte Abby. »Ein schönes.«
»An wen geht es?«
»An einen siebzehnjährigen Jungen.«
Furillo umkurvte einen Verkehrsstau, seine schlaksigen Arme bewegten das Lenkrad mit fast beiläufiger Eleganz. »Ich habe schon Nierentransporte vom Flughafen gemacht. Aber ich muß gestehen, daß ist mein erstes Herz.«
»Meins auch«, sagte Abby.
»Wie lange hält es sich – fünf Stunden?«
»Ungefähr.«
Furillo sah sie an und grinste. »Entspannen Sie sich. Ich bringe Sie so hin, daß sie noch dreieinhalb Stunden Zeit haben.«
»Um das Herz mache ich mir auch keine Sorgen. Es ist der Junge. Als letztes habe ich gehört, daß es ihm nicht besonders gutging.«
Furillo konzentrierte sich noch eindringlicher auf den Verkehr.
»Wir sind fast da. Noch höchstens fünf
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