Kalte Herzen
Minuten.«
Im Funkgerät knackte eine Stimme. »Wagen dreiundzwanzig, hier ist Bayside. Wagen dreiundzwanzig, hier ist Bayside.«
Furillo nahm das Mikrophon. »Dreiundzwanzig, Furillo.«
»Dreiundzwanzig, bitte kehren Sie zur Notaufnahme von Bayside zurück.«
»Unmöglich. Ich transportiere ein lebendes Organ ins Mass Gen. Haben Sie verstanden? Ich bin unterwegs zum Massachusetts General Hospital.«
»Dreiundzwanzig, die Anweisung lautet, unverzüglich nach Bayside zurückzukehren.«
»Bayside, rufen Sie einen anderen Wagen, ja? Wir haben ein lebendes Organ an Bord –«
»Diese Anweisung gilt speziell für Wagen dreiundzwanzig.
Kehren Sie sofort um!«
»Wer ordnet das an?«
»Die Anweisung kommt direkt von Dr. Aaron Levi. Fahren Sie nicht ins Massachusetts General. Haben Sie verstanden?«
Furillo sah Abby an. »Was hat das zu bedeuten?«
Sie haben uns ertappt, dachte Abby. Verdammt, Sie haben uns ertappt. Und sie versuchen, uns aufzuhalten.
Sie betrachtete die Kühlbox mit Karen Terrios Herz, dachte an all die Monate und Jahre erfüllten Lebens, die einen Siebzehnjährigen noch erwarten konnten.
»Drehen Sie nicht um«, entschied sie. »Fahren Sie weiter.«
»Was?«
»
Weiterfahren,
habe ich gesagt.«
»Aber die geben mir Anweisung –«
»Wagen dreiundzwanzig, hier ist Bayside«, unterbrach das Funkgerät sie. »Bitte antworten Sie.«
»Bringen Sie mich zum Massachusetts General!« sagte Abby.
»Los.«
Furillo blickte zum Funkgerät. »Alle Himmel«, sagte er. »Ich weiß nicht –«
»Dann lassen Sie mich hier raus!« befahl Abby. »Ich laufe den Rest!«
Das Funkgerät schnarrte: »Wagen dreiundzwanzig, hier ist Bayside. Bitte antworten Sie sofort.«
»Ach, leck mich doch«, murmelte Furillo ins Mikrophon.
Und dann trat er aufs Gas.
An der Rampe wartete bereits eine Krankenschwester in OP-Kleidung. Als Abby mit der Kühlbox aus dem Wagen stieg, rief sie: »Vom Bayside?«
»Ich habe das Herz.«
»Hier entlang.«
Abby hatte nur noch Zeit, Furillo ein letztes Mal dankbar zuzuwinken, bevor sie der Schwester fast im Laufschritt durch die Notaufnahme folgte. Sie nahm die bevölkerten Flure und Treppenhäuser wie im Zeitraffer wahr. Vor dem Fahrstuhl blieben sie stehen, die Krankenschwester steckte den Notfallschlüssel ins Schloß.
»Wie geht es dem Jungen?« fragte Abby.
»Wir mußten einen Bypass legen. Wir konnten nicht warten.«
»Hat er noch mal kollabiert?«
»Er hört gar nicht mehr auf zu kollabieren.« Die Schwester sah auf die Kühlbox. »Sie tragen darin seine letzte Chance.«
Sie traten aus dem Fahrstuhl und hasteten durch eine Reihe automatischer Schiebetüren in den OP-Trakt.
»Hier. Ich nehme das Herz«, sagte die Schwester.
Durch das Fenster sah Abby, wie sich ein Dutzend maskierter Gesichter umdrehten, als der Behälter einer Schwester durch die Tür angereicht wurde. Die Kühlbox wurde sofort geöffnet und das Herz aus seinem Eisbett gehoben.
»Wenn Sie sich frische OP-Kleidung anziehen, können Sie reingehen«, bemerkte eine Schwester. »Der Umkleideraum ist ein Stück den Flur hinunter.«
»Danke, ich glaube, das mache ich wirklich.«
Bis Abby ein frisches Hemd, Kappe und Einmai-Schuhe angezogen hatte, hatte das Team im OP Josh O’Days krankes Herz bereits herausgenommen. Abby mischte sich unter das dicht gedrängt stehende Personal, doch zu viele Schultern verdeckten ihr die Sicht. Immerhin konnte sie das Gespräch der Chirurgen verfolgen. Es war entspannt, beinahe herzlich.
Alle Operationssäle sahen gleich aus, überall waren der gleiche Edelstahl, die gleichen grün-blauen Vorhänge und gleißende Lichter. Unterschiedlich war nur die Atmosphäre, in der die Menschen in dem jeweiligen Raum arbeiteten. Und die wurde bestimmt durch die Persönlichkeit des leitenden Chirurgen.
Nach der entspannten Unterhaltung zu urteilen, war Ivan Tarasoff ein Chirurg, mit dem man angenehm arbeiten konnte.
Abby drängte sich an den Kopf des OP-Tischs und blieb neben dem Anästhesisten stehen. Das Elektrokardioskop über dem Bett zeigte eine flache grüne Linie an. In Joshs Brust schlug jetzt gar kein Herz; die Bypass-Maschine erledigte die ganze Arbeit.
Joshs Augenlider waren zugeklebt, damit die Netzhaut nicht austrocknete, und sein Haar war von einer Papierhaube bedeckt.
Eine einzelne dunkle Locke hatte sich gelöst und fiel in seine Stirn. Er lebt noch, dachte sie. Du kannst es schaffen, Kleiner.
Der Anästhesist sah Abby an. »Sind Sie vom Bayside?« flüsterte
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