Kalte Herzen
nicht gerechnet«, bemerkte Susan Casado.
»Ich …« Abby schluckte. »Nein! Nein!«
»Es ist nur eine erste Ankündigung«, erläuterte Susan. »Aber Sie wissen bestimmt, daß das zu einer Reihe von Formalitäten gehört, die zu beachten sind, bevor es zum eigentlichen Prozeß kommt. Zunächst wird der Fall von einer staatlichen Untersuchungskommission durchleuchtet, die entscheidet, ob tatsächlich ein Behandlungsfehler vorliegt. Wenn diese Kommission die Frage verneint, könnte das gesamte Verfahren damit schon beendet sein. Der Kläger hat jedoch das Recht, dessen ungeachtet auf einem Prozeß zu bestehen.«
»Der Kläger«, murmelte Abby. »Wer ist denn der Kläger?«
»Der Ehemann, Joseph Terrio.«
»Das muß ein Irrtum sein. Ein Mißverständnis.«
»Und ob das ein Mißverständnis ist«, fiel Wettig ein. Alle sahen den General an, der bis jetzt eisern schweigend daneben gesessen hatte. »Ich habe die Unterlagen selbst überprüft, jede einzelne Seite. Es gibt keinen Behandlungsfehler. Dr. DiMatteo hat alles getan, was sie hätte tun sollen.«
»Warum ist sie dann die einzige Ärztin, die in der Klageschrift erwähnt wird?« fragte Parr.
»Ich bin die einzige?« Abby sah die Anwältin an. »Was ist mit den Ärzten der Neurochirurgie? Der Notaufnahme? Sonst wurde niemand genannt?«
»Nur Sie, Dr. DiMatteo«, erwiderte Susan. »Und Ihr Arbeitgeber, Bayside.«
Abby lehnte sich völlig perplex zurück. »Ich kann das nicht glauben.«
»Ich auch nicht«, sagte Wettig. »So geht man normalerweise nicht vor, wie wir alle wissen. Normalerweise wählen die verfluchten Anwälte die Schrotflinten-Strategie und nennen jeden einzelnen Arzt, der auch nur bis auf eine Meile an den Patienten herangekommen ist. Da steckt irgendwas anderes dahinter.«
»Es ist Victor Voss«, sagte Abby leise.
»Voss?« Wettig winkte ab. »Der hat keine Aktien in diesem Fall.«
»Er will mich fertigmachen. Das ist sein Ziel.« Sie blickte in die Runde. »Warum, meinen Sie, bin ich die einzige namentlich genannte Ärztin? Voss hat sich irgendwie an Joe Terrio herangemacht und ihn davon überzeugt, daß ich etwas falsch gemacht habe. Wenn ich nur mit Joe reden könnte!«
»Auf gar keinen Fall«, wehrte Susan ab. »Das wäre ein Signal der Verzweiflung, ein Hinweis für den Kläger, daß Sie Probleme haben.«
»Ich
habe
Probleme!«
»Nein. Noch nicht. Wenn wirklich kein Behandlungsfehler vorliegt, wird die Sache rasch niedergeschlagen werden. Wenn die Kommission zu Ihren Gunsten entscheidet, besteht durchaus die Chance, daß die Klage fallengelassen wird.«
»Und was, wenn der Kläger auf einem Prozeß besteht?«
»Das wäre vollkommen sinnlos. Allein die Anwaltskosten –«
»Verstehen Sie nicht,
Voss
bezahlt die Anwaltsrechnung. Ihm ist es egal, ob er gewinnt oder verliert! Er könnte eine ganze Armee von Juristen bezahlen, nur um mich permanent einzuschüchtern. Vielleicht ist Joe Terrio nur die erste Klage.
Victor Voss könnte jeden Patienten aufspüren, den ich je behandelt habe, und jeden einzelnen von ihnen überreden, Klage gegen mich einzureichen.«
»Und wir sind Ihr Arbeitgeber. Das heißt, Sie werden auch Bayside verklagen«, sagte Parr. Er sah kränklich aus, als ob ihm beinahe so übel war, wie Abby sich fühlte.
Niemand sagte etwas. Doch als Abby Parr ansah, konnte sie den Gedanken lesen, der ihm durch den Kopf ging: Der schnellste Weg, die Sache abzukühlen, wäre ihre Entlassung.
Sie wartete auf den Schlag, erwartete ihn förmlich. Parr und Susan tauschten nur Blicke aus.
Dann sagte Susan: »Das Spiel hat gerade erst begonnen. Wir haben noch Monate Zeit für taktische Manöver. Bis auf weiteres«, sie sah Abby an, »wird die Vanguard Mutual Ihnen einen Rechtsbeistand stellen. Ich schlage vor, daß Sie sich so bald wie möglich mit deren Justitiar treffen. Vielleicht sollten Sie darüber nachdenken, einen eigenen Anwalt hinzuzuziehen.«
»Meinen Sie, daß das nötig ist?«
»Ja.«
Abby schluckte. »Ich weiß nicht, wie ich mir einen Anwalt leisten soll.«
»In Ihrer besonderen Lage, Dr. DiMatteo«, erklärte Susan, »können Sie es sich nicht leisten, sich keinen zu leisten.«
Für Abby war der Bereitschaftsdienst am Abend ein Segen, auch wenn er nicht gleich als solcher erkennbar war. Eine Flut von Anrufen hielt sie pausenlos auf den Beinen, wobei sie sich um alles, von einem Pneumothorax auf der Intensivstation bis zum Fieber eines frisch operierten Patienten in der Chirurgie, kümmern mußte. So
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