Kalte Herzen
Frank Zwick wartete eine kleine Armee von Hilfskräften: OP-Schwestern, eine technische Assistentin, der Kardiologe Aaron Levi und Abby. Nina Voss wurde in den OP-Saal drei gerollt. Um ein Uhr dreißig kam der Anruf vom Logan International Airport: Das Flugzeug war sicher gelandet. Das war das Stichwort für die Chirurgen, sich in den Waschraum zu begeben. Als Abby sich die Hände wusch, konnte sie durch das Fenster in den OP-Saal sehen, wo das übrige Transplantationsteam bereits emsig mit Vorbereitungen beschäftigt war. Die OP-Schwestern legten ganze Serien der möglicherweise benötigten Instrumente aus und rissen reihenweise Pakete mit sterilen Tüchern auf. Die technische Assistentin überprüfte die Herz-Lungen-Maschine. Ein Assistent im fünften Ausbildungsjahr war bereits eingewaschen und wartete darauf, Nina Voss’ Körper vorbereiten zu können. Nina Voss lag inmitten eines Wirrwarrs von EKG-Kabeln und Infusionsschläuchen auf dem OP-Tisch. Sie schien gegen die Betriebsamkeit um sie herum vollkommen gleichgültig zu sein.
Dr. Zwick stand am Kopfende und sprach leise auf sie ein, während er ihr Pentobarbital injizierte. Ninas Augenlider schlossen sich flatternd. Zwick legte ihr eine Maske über Mund und Nase. Mit dem Beutel preßte er in kurzer Folge ein paar Stöße Sauerstoff in Ninas Lungen, bevor er die Maske wieder abnahm.
Die nächsten Schritte mußten zügig und reibungslos vonstatten gehen. Die Patientin war jetzt bewußtlos und unfähig, selber zu atmen. Während Zwick ihren Kopf nach hinten überstreckte, führte er das gebogene Laryngoskop in ihren Rachen ein, umging die Stimmbänder und plazierte den Trachealtubus in der Luftröhre. Eine mit Luft gepolsterte Manschette fixierte den Tubus in dieser Position in der Luftröhre. Zwick schloß den Schlauch an das Beatmungsgerät an, und Ninas Brust begann sich mit dem Zischen des Blasebalgs zu heben und zu senken.
Die Intubation hatte weniger als dreißig Sekunden gedauert.
Die OP-Lampen wurden eingeschaltet und auf den Tisch gerichtet. In ihrem grellen Glanz wirkte Nina gespensterhaft und wie nicht von dieser Welt. Eine Schwester zog das Laken beiseite, das Ninas Körper bedeckte, und entblößte ihren Brustkorb, Rippen, die sich unter blasser Haut wölbten, und kleine, fast eingefallene Brüste. Der Assistent begann, das OP-Gebiet zu desinfizieren, indem er breite Jodstreifen auf Ninas Haut pinselte.
Die Türen des OPs flogen auf, und Mark, Archer und Abby kamen herein. Sie waren frisch eingewaschen, ihre Ellbogen tropften, und sie hielten die Hände erhoben. Alle drei wurden mit sterilen Handtüchern, OP-Kitteln und Handschuhen empfangen. Als sie vollständig eingekleidet waren, war auch Nina Voss mit OP-Tüchern bedeckt und das OP-Gebiet vorbereitet.
Archer trat an den Tisch. »Ist es schon da?« fragte er.
»Wir warten noch«, antwortete eine Schwester.
»Vom Logan Airport braucht man mit dem Wagen höchstens zwanzig Minuten.«
»Vielleicht steckt er in einem Stau fest.«
»Um zwei Uhr nachts?«
»Wirklich«, sagte Mark. »Das hätte uns gerade noch gefehlt.
Ein Unfall?«
Archer blickte zu den Monitoren. »Das ist mir an der Mayoklinik mal passiert. Wir hatten eine Niere aus Texas einfliegen lassen. Direkt vor dem Flughafen ist der Krankenwagen mit einem Laster zusammengestoßen. Das Organ wurde zerquetscht. Es wäre perfekt kompatibel gewesen.«
»Das ist nicht dein Ernst«, erklärte Zwick.
»Würde ich Witze über eine Niere machen?«
Der Assistenzarzt im fünften Jahr blickte zu der Uhr an der Wand. »Seit der Entnahme sind jetzt drei Stunden vergangen.«
»Abwarten. Einfach nur abwarten«, seufzte Archer.
Das Telefon klingelte. Alle Köpfe fuhren zu der Schwester herum, die den Hörer abnahm. Nur Sekunden später legte sie wieder auf und verkündete: »Es ist unten. Der Kurier ist, auf dem Weg in den OP.«
»Also los«, forderte Archer sie auf. »Dann schneiden wir jetzt.«
Von ihrem Standort aus konnte Abby nur einen Bruchteil der Prozedur beobachten, und selbst dieser Blick wurde gelegentlich durch Marks Schulter verdeckt. Archer und Mark arbeiteten reibungslos Hand in Hand. Sie machten einen Hautschnitt für die Brustbeinöffnung, bevor sie erst die Muskeln und dann die Knochen freilegten.
Die Gegensprechanlage an der Wand summte. »Dr. Mapes vom Entnahmeteam ist mit einer besonderen Lieferung eingetroffen«, kam die Nachricht vom Empfang des OPs.
»Wir sondieren gerade«, antwortete Mark. »Er soll sich
Weitere Kostenlose Bücher