Kalte Macht: Thriller (German Edition)
entfuhr es ihr, und sie tat zwei schnelle Schritte auf ihn zu.
Doch dann löste sich die Erstarrung, und der am Boden Liegende richtete sich auf und sah sie mit ernstem Blick an. »Henry, was ist los?«
Henrik Eusterbeck legte einen Finger auf seine Lippen und einen auf Nataschas. Dann stand er auf und führte sie an der Hand ins Arbeitszimmer. Ein Block und ein Bleistift lagen auf dem Schreibtisch, unberührt. Er nahm den Stift und schrieb: »Wir werden abgehört.« Plötzlich schwieg das Radio. Dann die Ansage: »Freitag, der 13. November. Es ist 0:00 Uhr.«
*
Die Nacht war kalt. Es war zu spät, um noch in ein Restaurant zu gehen. Und in einer Bar wäre es zu laut gewesen. Zuerst hatten sie überlegt, sich einfach ins Auto zu setzen. Doch dann war ihnen klar geworden, dass auch der Wagen verwanzt sein konnte. Also gingen sie durch das nächtliche Berlin. Sie gingen die Rosenthaler Straße nordwärts, in der Münzstraße schlug ihnen eisiger Ostwind entgegen. Schließlich tauchte an der Ecke zur Luxemburgstraße ein Hotel vor ihnen auf, in seiner Lichterpracht verheißungsvoll wie ein Weihnachtsabend. Bis hier waren sie schweigend gegangen, ein jeder mit seinen Gedanken beschäftigt. Ebenso schweigend kamen sie überein, dass sie sich dort in die Lobby setzen würden. Also traten sie ein. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, hatte Natascha das Gefühl, als hätte die Nacht sie doch noch schützend in den Arm genommen.
Henrik Eusterbeck ging an die Bar und bestellte zwei Gläser Glühwein. Als er zu Natascha zurückkam, sah er, dass sie geweint hatte. Sie stierte vor sich hin und schniefte wie ein Kind. Er setzte sich neben sie und legte ihr etwas unbeholfen von Sessel zu Sessel den Arm um die Schultern. »Es wird alles gut, Natti.«
Sie zitterte. Es dauerte eine Weile, ehe sie etwas sagte. »Wer hört uns ab, Henry?«
»Ich weiß es nicht, Natti.«
Sie atmete schwer. »Es ist wegen dieser blödsinnigen Aufgabe.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Nase. »Wegen der inoffiziellen .«
Henrik nickte. »Vermutlich hast du recht. Die Frage ist: Gehört das zum Auftrag – abzusichern, dass die Spionin nicht auf dumme Gedanken kommt oder für die Falschen arbeitet. Oder soll es den Auftrag vereiteln – indem es deine Arbeit torpediert.«
»Oder möchte jemand von unseren Erkenntnissen profitieren?«, murmelte Natascha.
»Oder hat jemand Angst, dass wir hinter sein Geheimnis kommen?«, ergänzte Henrik die Liste.
Sie saßen einige Zeit stumm da und sahen durch die großen Fenster zur Straße hinaus, wo sich die Lichter Berlins vielfach spiegelten. Schließlich kam der Glühwein, Henrik nickte dem Kellner zu, schälte sich endlich aus seinem Mantel und stieß mit Nataschas Glas, das sie nicht berührte, an. »Auf deine Feinde«, sagte er. »Mögen sie sich verraten, wo sie auch sind und was sie auch tun.«
Natascha sah ihn mit zweifelndem Blick an.
»Natürlich«, erklärte er. »Wir wissen jetzt, dass sie uns abhören. Es sind Stümper. Wir sind jetzt im Vorteil.«
»Woher weißt du eigentlich, dass wir abgehört werden?«
»Es war zuerst nur ein Verdacht. Diese Mail …«
»Mail?«
»Jemand hat mich geblackmailed.«
»Jemand?«
»Offenbar dieselben, die mir eine SMS geschickt haben, als ich in der Wohnung dieser Frau war. Ich habe mich gefragt, woher sie wissen, dass du der Sache noch nachgehst.«
Natascha umfasste mit beiden Händen den Glühwein, doch es schien keine Wärme in sie dringen zu können. »Weil ich dich angerufen habe. Sie haben mein Handy abgehört«, flüsterte sie.
»Ja. Nach Petras Besuch in dieser Schule hast du mit ihr telefoniert. Und du warst nicht die Einzige, die ihr Ohr am Hörer hatte. Das war auf einmal sonnenklar. Also bin ich nach Hause und habe mal einen anderen Blick auf die Dinge geworfen.«
»Kannst du denn an einem Telefon erkennen, ob es verwanzt ist?«
Henrik kniff die Augen zusammen, als würde er es ganz genau vor sich sehen. »Diese Dinge sind unglaublich klein. Aber man erkennt sie eben doch. Winzige Sender, die zusätzlich zu den Bauteilen des Telefons auf die Schaltplatte geklemmt sind.«
Natascha nickte. Woher Henrik das wusste? Egal, er war eben ein technisches Talent. Etwas, das sie an ihm bewunderte, gerade weil sie nichts davon verstand. »Ich vermute, wir können nicht herausfinden, wohin diese Wanzen senden?«
Henrik schüttelte den Kopf. »Leider nein. Keine Ahnung, ob die Polizei das rausfinden könnte. Aber es wäre vermutlich
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