Kalte Macht: Thriller (German Edition)
beste Gelegenheit dazu gewesen. Nein, sie war sicher. Ganz sicher. Und doch hielt sie den Griff des Messers fest umklammert, als sie Stunden später endlich erschöpft in den Schlaf fiel.
*
Als das Telefon schrillte, war es lichter Tag. Leicht benommen wankte Natascha Eusterbeck nach unten und nahm den Anruf im Flur entgegen. »Ja bitte?«
»Frau Eusterbeck?«
»Am Apparat.«
»Dr. Traub hier. Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten für Sie.«
Sie war schlagartig hellwach. »Keine guten Nachrichten? Was ist passiert?«
»Vermutlich ein Schlaganfall. Sie erinnern sich, das Ödem …«
»Oh Gott! Ein Schlaganfall? Sind Sie sicher? Wie geht es ihm?«
Der Arzt schwieg einen Moment. Dann holte er hörbar Luft. »Ich fürchte, er wird nicht überleben. Sie sollten vielleicht noch einmal vorbeikommen, wenn Sie es einrichten können.«
Natascha brachte kein Wort heraus. Es war, als hätte jemand ihre ganze Kraft mit einem einzigen Zug aus ihr herausgesaugt.
»Frau Eusterbeck?«
»Ja«, hauchte sie. »Ich … ich bin schon unterwegs.« Sie ließ den Hörer sinken, ohne sich zu verabschieden. Erst Minuten später legte sie auf. Dann zog sie sich etwas an und machte sich auf den Weg in die Klinik.
Königstein/Taunus, Le-Cannet-Rocheville-Straße, 31.10.1989, 8:40:09 Uhr.
Das Herumreißen des Steuers ist reiner Reflex. Die Bruchteile von Sekunden, die es bräuchte, um eine auch nur geringfügig koordinierte Handlung zu vollführen, sind um ein Vielfaches länger, als es der Geschwindigkeit des Blitzes entspricht, der in Ecks Augenwinkel dringt und dem im Abstand einer tausendstel Sekunde die Druckwelle folgt, die den Wagen vom Asphalt hebt und auf die andere Fahrbahnseite schleudert. Durch die Wucht der Detonation reißt es Ecks Hände vom Lenkrad. Sein Kopf wird in einer halben Rückwärtsdrehung gegen die Nackenstütze geschleudert, um dann in einer reaktiven Bewegung gegen das Seitenfenster zu knallen. Der Mercedes Benz 500 SL wird in die Luft gehoben. Die beiden rechten Türen brechen auf, die hintere wird in Sekundenbruchteilen weggesprengt, die Panzerglasfenster vollständig zerstört. Teile des Fahrzeugs fliegen bis zu 100 Meter weit. Als das 2,8 Tonnen schwere Fahrzeug nach 3,3 s zum Stillstand kommt, ist Eck für wenige Augenblicke bewusstlos.
8:41:00 Uhr. Die Druckwelle hat im Umkreis von einem Kilometer Fensterscheiben erzittern lassen, die Explosion war im Radius von zwei Kilometern deutlich hörbar. Zwei Jahre später wird man Spuren von Sprengstoff im Keller eines sich selbst und andere belastenden V-Mannes des hessischen Verfassungsschutzes finden, die als sicheres Indiz auf eine Tatbeteiligung gewertet werden. Es werden allerdings keine Spuren der Art von Sprengstoff gefunden, die bei dem Attentat zum Einsatz kamen.
ZWÖLF
E s war der 30. Dezember. Heute hätte Natascha Eusterbeck wieder im Büro sein müssen. Auf dem Plan standen mehrere Konferenzen, außerdem eine kleine Abschiedsfeier für einen zum Jahresende ausscheidenden Abteilungsleiter. Und jede Menge Akten, die über die Feiertage zweifellos angefallen waren. Doch so, wie die Dinge in Natascha Eusterbecks Leben inzwischen standen, musste sie ihre Auszeit verlängern und aus ein paar freien Tagen um Weihnachten einen Jahresendurlaub machen. Sie rief in ihrem Büro an. »Hallo, Petra. Ich hoffe, du hattest schöne Feiertage.«
»Natascha! Wo bist du denn abgeblieben?«, erwiderte Petra Reber in ihrer jovialen Art. »Die erste Sitzung läuft schon. Kleine Lage Inneres. Frey vertritt die Alte. Und ich erreiche dich nicht auf dem Handy.«
»Ich dachte, Frey ist in China.«
»War er auch. Ist aber einen Tag früher zurückgekehrt. Und du? Warum bist du noch nicht hier?«
»Mein Vater ist gestorben.«
Einen Augenblick wusste Nataschas Sekretärin nicht, was sie sagen sollte. Dann flüsterte sie: »Gott, Natascha, das ist ja schrecklich. Ach, das tut mir ja so leid. Ich … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.«
»Danke, Petra, ich weiß ja, was du sagen willst.« Sie atmete tief durch. »Ein Sturz. Er hat sich einen Schädelbruch zugezogen. Vorgestern habe ich ihn noch im Krankenhaus besucht, und er war eigentlich ganz aufgeweckt. Aber dann …« Natascha schluckte. Es fiel ihr schwer, darüber zu sprechen. Wenn sie nicht aufpasste, würde sie jeden Augenblick wieder in Tränen ausbrechen.
»Kann ich denn irgendwas für dich tun?«, fragte Petra Reber zum Glück, und Natascha fing sich wieder. »Ja, das kannst du«, sagte
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