Kalte Macht: Thriller (German Edition)
worauf sie da gestoßen ist.«
»Dann sollten wir dringend dafür sorgen, dass ihr der Alte nicht noch mehr Flausen in den Kopf setzt.«
»Keine Sorge, wir arbeiten bereits daran.«
»Sie arbeiten daran? Was soll das heißen? Der Alte liegt in der Klinik und lässt sich päppeln. Und seine Tochter ist schon dort. Er wird nicht lange fackeln, ihr seine Erkenntnisse brühwarm zu erzählen.«
»Keine Sorge, wie ich sagte, wir sind schon dran. Damit meine ich: dran an ihm.«
»Nah genug?«
»Näher geht nicht. Der behandelnde Arzt ist zufällig mein Bruder.«
»Wie haben Sie das denn geschafft?«
»Wir wussten ja, warum und wohin unser Patient kommt. War keine große Sache, das einzufädeln.«
»Teuflisch …«
»Nennen wir es einfach professionell.«
*
Das Haus war kalt. Eisig kalt. Natascha Eusterbeck konnte sogar in der Küche ihren Atem sehen. Sie stürzte sich auf die Heizungen und drehte sie alle auf. Alle. Sie brauchte jetzt Wärme. Gerne hätte sie ein heißes Bad genommen, doch der Boiler war genauso kalt, das war klar.
In ihrem alten Zimmer fand sie eine Decke, in die sie sich schon als Kind gekuschelt hatte. Sie nahm sie, roch daran und erkannte den Duft einer ganz und gar unschuldigen Zeit wieder. Sie legte sich die Decke um die Schultern und ging wieder hinunter in die Küche, wo sie sich einen Tee machte. Dann saß sie da, am Küchentisch, fröstelnd, schockiert, allein. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie weder ein Handy hatte noch ihr Notebook. Sie saß da in diesem Haus am Rande von Braunschweig und war praktisch völlig von der Außenwelt abgeschnitten. Natürlich gab es ein Telefon. Aber außer der Klinik wusste niemand, dass Natascha unter dieser Nummer erreichbar war, vielleicht war das im Augenblick auch besser so. Computer, geschweige denn Internet hatte ihr Vater nicht. Er stammte aus einer anderen Zeit, in der man auch ohne diese Kommunikationsmittel leben konnte. Und nun saß sie also hier und konnte nicht einmal weg: Wenn die Klinik anrief, wollte sie unbedingt erreichbar sein. Das hieß, bis morgen Vormittag keinen Fuß vor die Tür setzen.
Sie sah nach draußen. Es war längst dunkel. Nun, es würde ihr also nicht schwerfallen, zu Hause zu bleiben. Wäre es nicht der Zwang gewesen, es hätte ihr nichts ausgemacht. Sie nippte an ihrem Tee und dachte über die Worte des Arztes nach. Einerseits schien es ihr widersprüchlich: Wolfhardt Lippold war immer ein Mann des Intellekts gewesen. Es war kaum vorstellbar, dass er in eine geistige Umnachtung fallen sollte. Sagte man nicht, dass geistige Regsamkeit bis ins hohe Alter die Gefahr, an Alzheimer zu erkranken, deutlich verringert? Andererseits hatte er, als sie sich noch einmal von ihm verabschieden wollte, wirres Zeug gesprochen. Auch die Paranoia gab ihr zu denken, die ihn scheinbar befallen hatte. Sie kannte das von der Mutter ihres Vaters. Großmutter hatte auch ständig davon gesprochen, dass sie bestohlen wurde. Oder beobachtet. Dass jemand ihr nach dem Leben trachtete, war ihr zwar nicht eingefallen, aber vielleicht wäre das auch noch eine Geschichte gewesen, wenn sie etwas länger gelebt hätte.
Einerseits. Andererseits fragte sie sich, ob ihr Vater in dieser Klinik wirklich optimal versorgt wurde. Er hatte einen Schädelbruch und Verdacht auf ein drohendes Hirnödem. Musste er da nicht auf der Intensivstation liegen? Mussten da nicht zur Sicherheit lebenserhaltende Geräte in seiner unmittelbaren Umgebung vorhanden sein für den Fall, dass etwas passierte? Natascha beschloss, diese Fragen morgen anzusprechen. Sie wollte sich, nun da sie endlich auf der Bildfläche erschienen war, und sei es auch nur durch Zufall, nicht vorwerfen lassen, sie hätte nicht alles für ihren Vater getan. Vor allem wollte sie alles für ihn tun. Nicht nur weil er der einzige Mensch auf der Welt war, dem sie alles anvertrauen und dem sie uneingeschränkt vertrauen konnte. Henrik hatte sie in dieser Hinsicht schließlich bitter enttäuscht.
Erst nach einiger Zeit wurde ihr bewusst, dass sie offenbar schon länger schluchzte. Sie schnäuzte sich, trank ihren Tee aus und ging ins Wohnzimmer, um sich vor den Fernseher zu setzen. Immerhin diese Verbindung zur Außenwelt gab es. Und morgen früh, wenn das Büro wieder besetzt war, würde sie im Kanzleramt anrufen und Bescheid geben, wo sie zu erreichen war. Außerdem würde sie sich in der Innenstadt rasch ein neues Mobiltelefon besorgen und den wichtigsten Menschen ihre Nummer durchgeben. Henrik
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