Kalte Macht: Thriller (German Edition)
der National American Society, mit Mitte zwanzig in diversen Think Tanks zuerst in Chicago, dann in Washington, D.C. tätig. Anwalt bei einer New Yorker Renommierkanzlei, Büro Washington. Erst mit 31 Jahren Eintritt in die Republikanische Partei. Im Wahlkampfteam von Ronald Reagan. Danach Referent im Handelsministerium, später im Außenamt. Mit W.P. Linton und Alfred »Al« Meyer Gründung von Linton Meyer Lafrage. Die Kanzlei expandiert schnell über die ganzen USA und in andere Länder. Lafrage scheint nicht viel als Anwalt gearbeitet zu haben. Er war im Außenamt vor allem für Europa zuständig (speziell Frankreich, vermutlich wegen seiner Vorfahren, die allerdings gar nicht aus Frankreich eingewandert sind, sondern aus Deutschland; Hugenotten, die von Paris nach Preußen geflohen waren) und hat seine Kontakte offenbar sehr gut für sein geschäftliches Vorankommen genutzt. Seit 1989 in Berlin, zuerst als Botschaftssekretär ohne besonderen Aufgabenbereich (das wirkt reichlich dubios), dann als Kulturattaché.
Petras Kurzdossier war nicht schlechter als die Aktennotizen, die Henrik ihr zusammengestellt hatte. Sie brauchen einen Vertrauten. Natascha schnaubte verächtlich, wenn sie an diese geheuchelten Worte der Kanzlerin dachte. Petra war immerhin so jemand.
*
Die Kanzlei Linton Meyer Lafrage residierte in einem der Glaspaläste, die seit einigen Jahren auch in Köln hochgezogen worden waren. Natascha hatte ein Gründerzeitpalais erwartet, etwas von dem wenigen Edlen, das den Krieg überdauert hatte oder doch zumindest so wiedererrichtet worden war, als hätte er nicht stattgefunden. Stattdessen die kühle Fassade des 21. Jahrhunderts. Am Empfang in der Halle im Erdgeschoss ein Profi, der mit den Firmen, die in dem Gebäude residierten, nichts zu tun hatte, sondern austauschbar war wie ein Mietklo, ein Söldner auf Schicht. »Linton Meyer Lafrage: siebte und achte Etage. Zu wem müssen Sie denn?«
»Dr. Mai.«
»Dann ist es die achte.«
»Danke.«
Natascha Eusterbeck hörte den harten Klang ihrer Absätze von den Marmorwänden widerhallen, als sie zu den Aufzügen ging. Oben öffnete sich die Tür zu einer jener typischen Teppichetagen, in denen die Bosse der Republik ihr Tagewerk vollbrachten, die heimlichen Entscheider und Lenker, Wirtschaftsführer, Industriekapitäne, Verbandspräsidenten, Stiftungsvorstände, Sozietätspartner und Lobbyisten. Hinter einer gläsernen Wand, auf die der Schriftzug der Kanzlei graviert war, wartete ein weiterer Empfang. Natascha musste nicht klingeln, der Summer ertönte, ehe sie noch den Knopf berührt hatte. Vermutlich hatte der Mann in der Eingangshalle ihren Besuch bereits angekündigt.
»Natascha Eusterbeck. Ich habe einen Termin mit Herrn Dr. Mai.«
»Aber natürlich. Schönen guten Tag, Frau Staatssekretärin. Bitte nehmen Sie doch noch einen kurzen Augenblick Platz. Herr Dr. Mai wird gleich für Sie da sein.«
Natascha setzte sich und warf einen Blick auf die Golf- und Uhrenmagazine, die auf dem niedrigen Glastischchen bei den Le-Corbusier-Stühlen lagen. Geld, dachte sie. Es geht ausschließlich um Geld, nicht um Recht, in solchen Anwaltsetagen. Sie versuchte sich vorzustellen, welche Stundensätze hier aufgerufen wurden. Vierhundert Euro? Fünfhundert? Achthundert? Womöglich noch mehr, je nachdem, wer von den Anwälten in Aktion trat. Wenn Gero Mai sich mit ihr traf, dann bedeutete das einen Verlust von einigen hundert Euro. Jemand wie er durfte eigentlich nicht auf die Toilette gehen.
Tatsächlich schien er gerade von dort zu kommen. Sich die Hände reibend kam er den Gang hinunter und direkt auf Natascha Eusterbeck zu. Sie erhob sich, beinahe etwas schwerfällig, vielleicht ja schon der Schwangerschaft wegen? »Frau Eusterbeck, guten Tag«, sagte er ohne ein Lächeln, ohne einen Hauch von charmantem Unterton, obwohl Natascha sehr gut wusste, dass er diesen Knopf perfekt zu betätigen verstand.
»Herr Mai, ich grüße Sie. Schön, Sie mal wiederzusehen.« Eigentlich kannten sie sich kaum, waren vielleicht ein halbes Dutzend Mal in einem Raum gewesen. Selbst im Bundestag hatten sie sich verpasst: Als Natascha Eusterbeck ihr Mandat antrat, hatte Gero Mai seines gerade niedergelegt und sich aus dem politischen Tagesgeschäft zurückgezogen. Seither spekulierte man immer mal wieder darüber, ob es ein Comeback für ihn geben könnte und ob er irgendwelche heimlichen Pläne schmiedete. Doch das war wohl mehr ein Wunschtraum der entschiedensten Gegner der
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