Kalte Macht: Thriller (German Edition)
sie mit der Sache bezweckt haben. Aber eines kann ich dir versprechen. Von mir wird niemand etwas darüber erfahren. Ich werde deine Ehe nicht in Gefahr bringen.«
Henrik Eusterbeck lachte bitter. »Danke«, sagte er. »Danke, dass du das sagst. Auch wenn es zu spät ist. Meine Ehe hast du bereits ruiniert.«
*
Wenn es noch eine geringe Hoffnung gegeben hatte, dass Natascha sich die Schwangerschaft einbildete, ein letztes Fünkchen, dann war es nun vernichtet. Der Termin bei ihrer Frauenärztin hatte ihr klargemacht, dass sie nicht nur einfach schwanger war, sondern dass diese Schwangerschaft so weit fortgeschritten war, dass es tatsächlich jene verfluchte Nacht gewesen sein konnte. Vergewaltigung wäre ein Grund gewesen abzubrechen. Aber: War es denn eine Vergewaltigung gewesen? Ist es Vergewaltigung, wenn sich eine Frau nicht wehrt, weil sie so vollgepumpt ist mit Alkohol und Tabletten, dass sie gar nichts mitbekommt? Es war jedenfalls eine Art nachträglicher geistiger Vergewaltigung gewesen, die man ihr angetan hatte. Und nun: »Gratuliere! Sie sind in der elften Woche, Frau Eusterbeck.«
»Können Sie das so genau feststellen?«
»Ach ja, doch, heute können wir das ziemlich genau bestimmen. Sehen Sie, hier können Sie schon die Ärmchen erkennen. Und hier den Kopf.« Die Ärztin deutete auf das Ultraschallbild, das sich ständig veränderte. Es sah für Natascha aus wie eine Aufnahme aus den Tiefen der See. Als würde gleich ein U-Boot auftauchen und seine Torpedos abfeuern. Stattdessen wischte tatsächlich auf einmal ein dünnes Ärmchen vorbei mit Fingern wie von einem Gecko. Und dann erkannte Natascha auch plötzlich den Kopf: die gewölbte Stirn, die winzige Nase, den kecken Mund. Mein Gott, es war ein Kind, ein Mensch, ein Wesen mit einer Seele, das da in ihr lebte. Wer immer sein Vater war, sie war die Mutter. Es trieb ihr die Tränen in die Augen zu sehen, dass jemand ihr eigenes Leben in sich trug, dieses kleine Menschlein nämlich, das … »Können Sie schon sagen, was es ist?«
»Schwer festzustellen, so wie es liegt. Es lässt uns nicht gut hinsehen«, stellte die Ärztin fest, drückte noch etwas fester mit dem Ultraschallscanner auf ihren Bauch, probierte es von der Seite, dann etwas mehr von unten, doch: »Nein, leider. Aber beim nächsten Mal.«
Natascha nickte. Beim nächsten Mal. Damit musste sie jetzt wohl leben. Es würde ein nächstes Mal geben. Und dann noch ein weiteres Mal. Und noch eines. Bis eines Tages dieses Kind seinen Kopf aus ihr herauspresste. Und Henrik würde nicht neben ihr sitzen, um ihre Hand zu halten und mit ihr zu weinen.
»Haben Sie es Ihrem Mann schon gesagt?«, fragte die Ärztin, während sie Nataschas Bauch mit Küchenkrepp abwischte und ihr aufmunternd zulächelte.
»Nein. Noch nicht«, sagte Natascha und versuchte, ihrem Blick zu entfliehen. Eine Dummheit, wie ihr sogleich klar wurde.
»Verstehe.« Es war unüberhörbar, dass sie Natascha durchblickt hatte: Das Kind war nicht von ihrem Mann.
»Es ist alles etwas kompliziert«, versuchte Natascha zu erklären.
»Das ist es immer, Frau Eusterbeck.« Die Ärztin hatte ihren neutralen Ton schon wieder aufgenommen. Vielleicht noch ein wenig neutraler als sonst. »Sie können sich jetzt wieder anziehen.«
Natascha verschwand hinter dem Paravent und schlüpfte in ihren Slip und die Strumpfhose. »Und, denken Sie, es ist alles so weit in Ordnung mit dem Kind?«, fragte sie, als sie sich der Ärztin gegenüber an den Schreibtisch setzte.
»Es sieht alles gut aus. Die Maße sind im normalen Bereich. Puls, Nackendurchmesser, alles unauffällig. Und alle Finger dran.« Sie lächelte mit professioneller Freundlichkeit.
»Frau Doktor …«, sagte Natascha, doch die Ärztin unterbrach sie: »Ich schreibe Ihnen ein paar Sachen auf, die Sie einnehmen sollten. Nichts Besonderes. Vitamine, die Ihnen und dem Kind guttun. Dass Sie nicht rauchen, keinen Alkohol trinken und keine Drogen nehmen sollen, brauche ich Ihnen sicher nicht zu sagen.«
»Mache ich nie«, erklärte Natascha voll Überzeugung.
»Nie?«
»Wo denken Sie hin. Ich … ich …«
Die Ärztin nickte wissend. »Ephedrin«, sagte sie. »Auch das ist eine Droge. Lassen Sie das bleiben. Es ist nicht nur schlecht für Sie. Es ist Gift für das Ungeborene.«
»Woher wissen Sie?«
»Ich weiß, was Sie beruflich machen.«
*
Dr. Joseph Lafrage , geb. 23.12.1950 in Chicago. Vater Kongressabgeordneter. Jura-Studium in Harvard (Abschluss als LLM.), Stipendium
Weitere Kostenlose Bücher