es alle. Und auch das Kind ist weg.«
Sie drehte sich wieder zu ihm und ließ die Korsage langsam in ihre Hände gleiten. Ja, unter anderen Umständen wäre Henrik Eusterbeck sehr gerne hier in diesem Raum gewesen. Jetzt aber hatte er keinen Blick für die Schönheit des afrikanischen Kontinents, sondern griff in seine Tasche und zog das Foto mit Michelle, Sandrine und dem Mädchen hervor. Ganz unauffällig und gerade schnell genug, damit sie es erkennen konnte, ehe er es wieder zurücksteckte in sein Jackett. »Ich weiß, dass Rau hier ein und aus geht. Staatssekretär Frey ebenso. Was mich interessiert, ist: Wer kommt noch hierher? Und gab es mit irgendjemandem in letzter Zeit Schwierigkeiten?« Er beobachtete, wie sie ihre Strümpfe auszog und sich aufs Bett legte, rührte sich aber nicht von der Stelle.
Sie seufzte, räkelte sich und drehte sich auf den Bauch, sodass sich ihr runder Po vor ihm bewegte. »Sandrine hatte Probleme mit einem Freier«, sagte sie so leise, dass Henrik sie kaum verstand. »Ich weiß nicht, wie er heißt. Es war keiner von denen, die du genannt hast. Auch sonst keiner von den Deutschen. Er war Amerikaner.«
»Ein Tourist? Das interessiert mich nicht. Wenn Sandrine sagt, sie will auspacken, dann meint sie sicher keinen Reisenden.«
Die dunkelhäutige Frau rollte wieder herum und streifte sich den Slip von der Hüfte, um ihn mit ihrem bestrumpften Fuß nach Henrik zu werfen. Der fing ihn auf und legte ihn beiseite. »Das war kein Reisender«, sagte sie. »Er war von der Botschaft. Irgendein hohes Tier.«
»Der Botschafter?«
»Nein.« Sie schob sich eine Hand zwischen die Beine. »Der Botschafter war es nicht. Der zählt zu meinen Kunden. Ein anderer. Aber mehr kann ich dir nicht sagen. Mehr weiß ich nicht.«
Henrik nickte. »Gut. Dann gehe ich. Danke für deine Hilfe und die nette Vorstellung.«
Sie schwang sich auf und kam zu ihm. Während sie ihn umarmte, flüsterte sie ihm ins Ohr: »Die Typen sind gefährlich. Du musst aufpassen.« Auf dem Monitor würde es aussehen, als würde sie an seinem Ohrläppchen knabbern. Doch tatsächlich klang sie ängstlich, als sie hinzufügte: »Bring Sandrine zurück. Und ihre Tochter. Die beiden sind gute Mädchen.«
»Da bin ich sicher«, sagte Henrik Eusterbeck, nahm sie an den Oberarmen und schob sie von sich. »Alles Gute.« Dann holte er einen Fünfzigeuroschein aus der Tasche und legte ihn auf das Beistelltischchen neben dem Bett. »Damit deine Überwacher keinen Verdacht schöpfen.«
Sie nickte nur und winkte ihm zu, während er die Tür öffnete und sie hinter sich ließ.
*
Von: Die Pupille
An:
[email protected] Betreff:
Text: HÜBSCHES FOTO. WEISS DEIN MANN SCHON BESCHEID?
Im Anhang eine Ultraschallaufnahme aus ihrem Bauch.
*
Petra Reber grüßte ihn so kühl, dass Henrik Eusterbeck sich keine Illusionen darüber machte, wie Natascha zu ihm stand. Er beeilte sich, in einem der benachbarten Büros zu verschwinden. Zufall, dass man ihm heute einen Raum ganz in der Nähe des Büros seiner Frau zugewiesen hatte. Nur dass sie nicht da war. Wieder mal nicht da war. Von Petra Reber war nur zu erfahren gewesen, dass sie »noch nicht zurückgekehrt« war. Nataschas Sekretärin verhielt sich so zugeknöpft, als wären sie nie per Du gewesen. Jetzt jedenfalls waren sie es nicht mehr. Sie hatte ihn nach dem Überfall in seinem Schlafzimmer mit einer so kaltschnäuzigen Selbstverständlichkeit gesiezt, dass er ihr eine hätte runterhauen mögen. Was wusste sie schon? Sie hatte keine Ahnung! Ja, natürlich hatte Henrik eine Affäre gehabt, und das war scheiße von ihm gewesen. Aber dass seine Frau ihn verlassen hatte, dass sie seinen Wagen genommen hatte, fortgefahren und nicht mehr zurückgekehrt war, dass sie ihn in der gottverdammten Einöde am See hatte sitzen lassen, dass er Stunden zu Fuß in die nächste Ortschaft marschiert war und zurück, dass er sich Sorgen gemacht hatte, dass er um ihr Leben hatte fürchten müssen – das alles wusste sie nicht. Und sie wusste auch nicht, dass er in den ersten Tagen vergeblich versucht hatte, sie zu erreichen, fünfmal, zehnmal, zwanzigmal, dass er so gehofft hatte, sie zu Hause in der Wohnung in Berlin anzutreffen, und dass sie da auch nicht gewesen war, dass er in Braunschweig bei ihrem Vater angerufen und auch dort erst einmal niemand abgehoben hatte, dass er heulend vor dem Telefon gesessen und sich und sein lächerliches kleines Leben verflucht hatte. Nichts wusste sie. Und fühlte