Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Straßburg zurück nach Berlin. Für diese Gespräche genügte ein kleiner Auftritt beziehungsweise eine reduzierte Entourage. Am Flughafen Charles de Gaulle kaufte Natascha für ihren Mann eine Krawatte, deren labyrinthisches Muster aus vielen kleinen Eiffeltürmen gelegt war, und ein Rasierwasser von Dior. Ein neuer Duft würde ihm guttun. Ihnen beiden. Dior Homme, das trug auch David Berg.
Henrik hatte ihr eine Reihe von Lebensläufen auf ihren E-Mail-Account geschickt. Textdateien, die er mit seinem Lieblingspasswort verschlüsselt hatte. Während des Flugs sah Natascha die Unterlagen durch und machte im Geiste schon wieder ihre Querverstrebungen und farblichen Markierungen.
Günther Braun
Parlamentarischer Geschäftsführer 1991-1994, 1995-1999 Bundesminister für Verkehr und Infrastruktur, danach Landesvorsitzender Niedersachsen. Zählt sich zu den »Enkeln von Walther Brass«. Mitglied des Alpenbunds. Gilt als Intimfeind von Alexander Rau. Skandale: Abhöraffäre gegen die Oppositionsführerin Hilde Demuth, Steuerstrafverfahren, fragwürdige Wahlkampffinanzierung; alles ohne strafrechtliche Folgen. Politische Ziehsöhne: u.a. Stefan Quast (jetzt Abteilungsleiter Bildung im Bundeskanzleramt) und Hans Steiner. Aufsichtsrat bei EON-Ruhrgas, Fistelschneider Technologies und Vizepräsident der Wilfried-Bölcke-Stiftung (alle drei Jobs hat er erst nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik zugespielt bekommen).
Dazu allerlei biografische Details von der Schulausbildung über die politischen Anfänge bis zu Informationen über seine Familie. Natascha kannte Braun aus der Zeit, in der sie als Vertreterin des Mecklenburgischen Wirtschaftsministeriums öfter im Bundesrat gewesen war.
Hans Steiner
Kanzleramtsminister, geb. 20.05.1960 in Uelzen. Vater Sozialpädagoge, Mutter Sekretärin (Abfallamt). Nach Haupt- und Realschule Fachhochschule. Ab 1980 Studium der Wirtschaftsgeografie in Münster. Schon mit 16 in der Partei, schon mit 21 gesponsert von einem Müllentsorgungsunternehmer (Vermittlung durch die Mutter?). Sehr fragwürdige Begründung der Zuwendungen … Steile Parteikarriere: Jugendverband, Kreistag Lüneburg im ersten Anlauf (offenbar mit massiver Unterstützung durch Martens), Kreisvorsitzender (mit 31 »Ehrenvorsitzender« des Kreisverbands! Mit 31!). 1990 in den Bundestag gewählt (Direktmandat). Vizevorsitzender des Bezirksverbands Nordostniedersachsen, seit 1996 im Landesvorstand. 2005 Schatzmeister der Partei. Seit 2006 im Bundesvorstand. Skandale: 2000/2001 fragwürdige Immobiliengeschäfte und dubiose Kapitalanlagen, Verdacht auf Steuerhinterziehung (mit mehreren Hausdurchsuchungen); alles »wegen nicht hinreichenden Tatverdachts« fallen gelassen, Verfahren eingestellt.
Natascha erinnerte sich vage an diese Affäre. Das war damals kurz vor der Landtagswahl gewesen und hatte Braun schwer geschadet. Sie fragte sich, ob die Vorwürfe wirklich, wie man in der Partei kolportiert hatte, von der Opposition eingefädelt gewesen waren. Denn letztlich profitiert hatte davon vor allem die Kanzlerin. Wäre Braun stärker aus den Wahlen hervorgegangen, dann hätte er eine Alternative innerhalb der Partei zu ihr darstellen können. Er hätte der starke Mann sein können, den sich mancher in der Partei wünschte, dem der Kurs der Kanzlerin nicht gefiel. Sie las weiter:
Längere Zeit Protegé von Braun, inzwischen haben sie keine gemeinsamen Themen mehr außer die Bölcke-Stiftung (Zerwürfnis?). Mitglied in verschiedenen Parteiorganisationen (u.a. im Vorstand der Wilfried-Bölcke-Stiftung). Sonst vor allem in der Wirtschaft gut vernetzt (Aachener Wirtschaftsforum, European Trade Counsil).
Henrik hatte ganze Arbeit geleistet. Natascha war beeindruckt. Dafür, dass er Politlaie war, war er schnell dahintergekommen, wo und wonach er suchen musste. Das nächste Dokument befasste sich mit ihrer Kollegin im Kanzleramt, Stephanie Wende, die so fürsorglich und abweisend war. Es zeichnete das Bild einer karrieregeilen Technokratin. Oder vielleicht doch nur einer Frau, die alles im Leben richtig machen wollte? Die in einem unmenschlichen Betrieb perfekt funktionierte. Ließ sich aus solchen Lebensläufen etwas ablesen, oder waren sie nur Lichtpunkte auf einer großen Fläche, die nicht mehr als eben die winzigen erhellten Positionen ausleuchteten? Natascha atmete tief durch. Was würde in ihrem Lebenslauf stehen, wenn man ihn auf die Länge eines Blatts Papier zusammenschmolz? Was würde man daraus ablesen
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