Kalte Macht: Thriller (German Edition)
spätestens seit seinem doppelzüngigen Verhalten in der Währungskrise nicht mehr über den Weg traute, als er federführend an einem staatlichen Sicherungsfonds mitgearbeitet und später entrüstet zurückgewiesen hatte, ihn mit seinem Institut womöglich selbst in Anspruch zu nehmen. Er war wie der Metzger, der sich empört, die eigenen Würste zu essen. Das latente Misstrauen der Kanzlerin gegenüber allen und jedem hatte in seinem Fall eine leicht pathologische Dimension erreicht – doch in ihrem Verhalten hatte sie sich kaum geändert. Und so begrüßte sie ihn mit freundlichen Worten und dem typischen vorgegebenen Überschwang, den ihr niemand abnahm.
Natascha Eusterbeck hielt sich im Hintergrund. Diese Rolle war für sie angemessen. Sie dekorierte die Runde durch ihre Anwesenheit. Ein wenig ärgerte sie sich, dass sie sich angezogen hatte, als ginge sie auf einen Empfang irgendwo draußen in der freien Welt: Sie sah einfach zu glamourös aus für den Abend. Das war schlicht unprofessionell. Statt eines Kleids hätte sie ein Kostüm tragen sollen, flachere Pumps, weniger spitz. Eine schlichte Perlenkette statt des etwas exzentrischen Colliers aus mehreren Goldkettchen mit bunten Steinen, das ihr Henrik zum zehnten Hochzeitstag geschenkt hatte. Sie hatte sich ganz einfach verschätzt. Anfängerfehler, dachte sie und schwor sich, dass ihr das nicht mehr passieren würde. Sie spürte die Blicke der Männer, die sie zu oft und zu lange streiften. Schon erstaunlich, dachte sie, keiner von denen arbeitet weniger als vierzehn Stunden am Tag. Und doch sind sie schon fast krankhaft geil und halten sich für unwiderstehlich, Aufreißer vor dem Herrn, ob Manager oder Politiker. »Und Sie müssen Frau Staatssekretärin Eusterbeck sein«, sprach sie einer der externen Besucher an und hob sein Glas zur Begrüßung. Champagner. Als Aperitif. Sie lächelte. »Ganz richtig. Und Sie sind …?« Sie hob ein wenig die Augenbrauen und versuchte ein entschuldigendes Lächeln.
»Lars von Wintersleben. Vorstand im Bankhaus Schätzing. Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Und umgekehrt, Herr von Wintersleben.«
»Das ›von‹ können Sie weglassen«, sagte er gönnerhaft. »Haben Sie nichts zu trinken? Darf ich Ihnen ein Glas Champagner holen?«
»Danke, lassen Sie mal. Sie wissen doch, Frauen halten sich am liebsten an ihrer Handtasche fest.«
»Oder am Arm eines Kavaliers«, ergänzte von Wintersleben, blickte sie bedeutungsvoll an und drehte sich dann ein wenig zur Seite, sodass sie gemeinsam den Saal vor sich liegen hatten. »Eindrucksvolle Gesellschaft. Nett von der Kanzlerin, dass sie großen Bahnhof für Feldmann macht. Nach allem, was in der letzten Zeit zwischen den beiden vorgefallen ist, hätte ich ihr das gar nicht zugetraut.«
Dr. Frey schob sich plötzlich zwischen ihn und Natascha Eusterbeck. »Da kennen Sie sie aber schlecht. Wenn etwas nicht passt, muss es passend gemacht werden. Sie hätte dieses Diner vermutlich nicht ausgerichtet, wenn es zwischen ihr und Feldmann zum Besten stünde. Sie verteilt keine Gefälligkeiten.«
»Sie meinen, eine solche Einladung ist eher ein schlechtes Zeichen?«, fragte der Banker verblüfft.
»Keineswegs«, entgegnete Frey mit spöttischem Lächeln. »Es zeigt nur, dass hier Politik betrieben wird.« Er deutete eine Verbeugung an und ging dann weiter, um Feldmann zu begrüßen.
Der Chef der Nationalbank trug wie immer einen perfekt sitzenden italienischen Anzug und eine Frisur wie hingemeißelt. Auch sein Lächeln schien ihm ins Gesicht gemeißelt zu sein. Er versprühte seinen etwas eigentümlichen österreichischen Charme, von dem echte Österreicher sagten, dass er nur gespielt sei. Das wirklich Besondere an Feldmann war jedoch, dass er einen Raum beherrschte, sobald er ihn betrat. Wenn er seinen Fuß über die Schwelle setzte, veränderte sich die Chemie der Luft, und alle Magnetfelder und alle Gravitation schienen sich auf ihn auszurichten. Natascha hatte etwas Ähnliches vor vielen Jahren gesehen, als sie dem Altkanzler auf einer Wahlkampfveranstaltung im Mecklenburgischen begegnet war: Walther Brass war aus seiner Dienstlimousine gestiegen, und sogleich hatte sich die Menge geteilt und ein Korridor vor ihm aufgetan, durch den er völlig ungehindert bis zum Podium schreiten konnte. Wo immer Brass entlanggegangen war, hatten sich zwar zahllose Menschen zu seiner Lobpreisung versammelt, aber es war doch der immergleiche Tunnel entstanden – Brass’ Aura schien ihm das
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