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Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Kalte Macht: Thriller (German Edition)

Titel: Kalte Macht: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Faber
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Und doch war sie seine Mama, und er sah immer noch alles das in ihr, was sie einmal gewesen war. Eine schöne und gebildete Frau. Sein Fels in der Brandung. Sie war immer für ihn da gewesen. Und er dankte es ihr, indem er sie besuchte. Nicht sehr oft. Nicht weil sie es brauchte, sondern weil er es nötig hatte. Und dann saß er da, oft stundenlang, erzählte ihr, hielt ihre Hand, beichtete. Das fiel ihm leichter, seit sie ihn nicht einmal mehr erkannte. Hatte sie eine vage Vorstellung davon, was ihr der Mann sagte, der an ihrem Bett saß? Der ihr von einer Frau erzählte, die einmal Natascha hieß und dann Michelle? »Sie bringt mich um den Verstand, Mama. So verrückt war ich seit meiner Pubertät nicht mehr nach einer Frau. Und dann stellt sich heraus, dass sie … dass sie in diesem … Club arbeitet. Mein Gott, was sage ich, in diesem Puff. Ich kann doch meine Frau nicht für eine Hure sitzen lassen.« Er haderte, rang um Worte. »Sitzen lassen will ich sie aber gar nicht, nein, wirklich nicht. Ich brauche nur jemanden, der gerne mit mir zusammen ist, weißt du. Jemanden, für den ich auch irgendwie … wichtig bin. Nicht bloß der Job. Eine Affäre. Das muss ja nicht für die Ewigkeit sein. Aber mal einen schönen Sommer mit einer Frau genießen, die nicht mit dem Beruf verheiratet ist, das wäre schon … ach, was rede ich. Du magst Natascha, mochtest sie immer. Du könntest das nicht verstehen. Ich kann es ja selbst nicht verstehen. Ich weiß auch nicht, warum es so weit mit uns gekommen ist. Erst dachte ich, die gemeinsame Aufgabe in Berlin würde uns wieder näher zusammenbringen. Aber wenn ich es jetzt bedenke, dann ist eher das Gegenteil geschehen. Der Job hat sich noch stärker zwischen uns gedrängt. Wir können ja über gar nichts anderes mehr sprechen als nur noch über die Kanzlerin und über den Minister Sowieso und die Staatssekretärin XY . Und für uns haben wir noch weniger Zeit als vorher. Obwohl wir uns ganz am Anfang von Nataschas Karriere geschworen haben, dass es nie so weit kommen würde.« Er saß dann lange Zeit stumm neben seiner Mutter und vergoss Tränen des Selbstmitleids und des Zorns. Am liebsten hätte er laut gelacht, wie in der vergangenen Nacht. Der Job sollte sich nicht zwischen sie drängen. Er wollte eine Frau, die nicht mit ihrem Beruf verheiratet war. Und dann ging er ausgerechnet mit einer Nutte ins Bett. Völlig bizarr. Das war doch nicht er. »Das bin nicht ich, Mama«, sagte er leise und drückte ihre Hand so fest, dass sie aufseufzte. Er stand auf und küsste sie auf die Stirn. »Ich werde Schluss machen mit ihr.«
    Gestärkt von dem Gedanken, dass er alles mit seiner Mutter besprochen, dass er ihren Segen hatte, machte er sich auf den Rückweg in die Hauptstadt. Es war früher Nachmittag, und die 300 PS unter der Motorhaube seines BMW s zogen die Straße wie ein gieriges Raubtier unter ihm weg. Die klaren Regeln, nach denen auf dem Asphalt gekämpft wurde, räumten seinen Kopf wieder auf, halfen ihm, seine Gedanken zu sortieren. Ihm war jetzt klar, dass es Wahnsinn gewesen war, eine echte Affäre anzufangen. Er war verheiratet, hatte eine großartige Frau, hatte alle Freiheiten. Sollte er das alles wegwerfen? Der Job im Kanzleramt würde nicht ewig dauern. Und ob Natascha danach in ein Ministeramt einzog oder sich doch für Kinder und eine lukrative Karriere in der freien Wirtschaft entschied, das war längst nicht ausgemacht. Die Sache mit Michelle hatte seinem Ego gutgetan. Aber jetzt war es an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen. Michelle würde das verkraften. Sie hatte ihren Spaß gehabt, und sie musste wissen, dass kein ernsthafter Geschäftsmann sich auf eine ernsthafte Beziehung zu einer Hure einlassen konnte. Huren hatten viel Gesellschaft, aber sie waren einsam. Vermutlich.
    Kurz vor Charlottenburg fuhr er Richtung Norden. Wenig später war er in der Straße, in der er den Club entdeckt hatte. Diesmal lenkte er den Wagen direkt auf den Hof und stieg aus. Den Mantel ließ er im Auto, Handy und Geldbörse nahm er mit. Neben dem Haus parkten ein paar teure Audis und BMW s und – weiter hinten – einige Kleinwagen, die vermutlich den Mädchen gehörten, die hier arbeiteten. Ein Mini war nicht zu sehen. Vielleicht war das gut so.
    Es war ein niedriges Gebäude, dessen Eingang zwei schlechte Gipsabgüsse falscher antiker Statuen schmückten. Hinter der Tür ein Windfang, der einen mit allzu warmer Luft und leiser Musik empfing. Henrik atmete durch. Er war

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