Kalte Macht: Thriller (German Edition)
Managers, der in seiner Kindheit auf eine Eliteschule der Nazis geschickt worden war, um dort zum perfekten Parteifunktionär geschult zu werden, der dann nach dem Krieg die Sekundärtugenden, die er dort erlernt hatte, offenbar optimal für sein berufliches Vorankommen eingesetzt hatte, schnell zu einem einflussreichen Manager in der Stahlindustrie wurde, um schließlich ins Bankwesen zu wechseln. Offenbar war dieser Schritt so verrückt wie erfolgreich. Ritter hatte scheinbar nie etwas anderes vom Leben erwartet, als die Nummer eins zu sein, egal, wo er sich befand. Sein Weg an die Spitze der Nationalbank war beinahe handstreichartig. Natascha konnte sich vorstellen, dass ein Mann, der scheinbar mühelos jede Herausforderung zu seinem persönlichen Vorteil umzusetzen verstand, sich auf seinem Weg nach oben nicht nur Freunde machte.
Sie holte sich einen Kaffee und machte es sich wieder auf dem Sofa bequem. Eigentlich hätte sie Akten studieren sollen. Ein Buch zu lesen, das war ein Luxus, den man sich in der Politik allenfalls im Hochsommer leisten konnte, wenn man tatsächlich mal ein paar wenige Tage Urlaub hatte. Doch Natascha redete sich ein, dass die Lektüre dieser Schwarte ja gewissermaßen beruflich bedingt war. Schließlich hatte sie kürzlich Ritters Nachnachfolger Johann Feldmann kennengelernt und war sogar mit etlichen hochrangigen Bankern bekannt geworden. Außerdem: Die Nationalbank war de facto der Geldhahn der Republik. Und den musste man im Griff haben, wenn man in der Politik seine Sache richtig machen wollte. Und: Natürlich ließ sich keine Karte der politischen Macht erstellen, in die nicht die wirtschaftliche Macht einfloss. Also vertiefte sie sich wieder in die Geschichte des Mannes, der mehrmals zum Manager des Jahres gewählt worden war, der in der Schuldenkrise der Dritten Welt, die die achtziger Jahre beherrscht hatte, für ungewöhnliche Maßnahmen eingetreten war, der sich auf internationalem Parkett scheinbar noch leichtfüßiger bewegte als auf nationalem, der zu den wichtigsten Beratern des Kanzlers Walther Brass gehört hatte und dann, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, von einer RAF -Bombe zerrissen worden war – obwohl, daran bestanden, wenn man Hagen glaubte, erhebliche Zweifel. Der Autor behauptete, es habe genügend andere gegeben, die mindestens so gute Motive für einen Mord an Ritter gehabt hätten wie die Linksterroristen. Jene aber hätten gar nicht die Möglichkeiten gehabt, ein Attentat zu begehen wie das auf Ritter. Zu lange Vorbereitungszeiten, zu komplexe Technik, praktisch nicht zu beschaffendes Material … Außerdem waren die Zeugen, die die Staatsanwaltschaft befragt hatte, unglaubwürdig gewesen, hätten sich widersprochen, ja sogar ihre Aussagen widerrufen. Hagen sprach es nicht aus, aber jeder Leser konnte es unschwer erraten: Er gab den Geheimdiensten die Schuld am Tod des Bankers.
Natascha legte das Buch beiseite.
Trotz Kaffee fielen ihr die Augen zu. Sie überlegte, ob sie noch eine Ephedrin einwerfen sollte, es gab noch so viel zu tun. Doch dann entschied sie sich dafür, den Tag zu beenden. Sie checkte noch einmal ihre Mails und Kurznachrichten, schickte Petra Reber ein paar Anweisungen für den nächsten Morgen, bat um einige Informationen über Männer, von denen sie in Hagens Buch gelesen hatte und die heute in wichtigen politischen Positionen saßen. Außerdem einen Artikel, den die Kanzlerin vor Jahren veröffentlicht hatte und der ihr für die Beurteilung der Machtstrukturen in der Partei interessant erschien. Um acht Uhr stand eine Konferenz der Parteigruppe im Innenausschuss an. Es ging um die Position zum geplanten Datensicherheitsgesetz. Die Opposition hatte einige Forderungen gestellt, von denen sogar ein paar wirklich gut waren. Nun galt es, eine Linie festzulegen, wie man die guten Aspekte aufnahm, ohne der Opposition den Triumph zu lassen, sie eingebracht zu haben, und wie man das Ganze dann wiederum dem Bundesrat verkaufte, in dem die Opposition das Gesetzesvorhaben blockieren konnte. Klassisches politisches Handwerk also. Und viel zu komplex, um so spät am Abend und ohne Treibstoff noch genauer durchgearbeitet zu werden. Immerhin kannte Natascha die Eckpunkte, den Rest würde sie intuitiv über die Bühne bringen. Von ihr würde man bei der Sitzung keinen aktiven Beitrag erwarten.
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Henrik Eusterbeck zahlte seine drei Biere – sechsunddreißig Euro – und ging nach draußen. Es hatte keinen Sinn. Nicht hier und heute. Und nicht in
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