Kalte Wut
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück, der abermals knarrte, und wendete den Blick nicht eine Sekunde von Martin ab.
»Also«, endete Martin, »haben wir es mit einer Katastrophe zu tun.«
»Das ist gelinde ausgedrückt. Ich sollte Sie erschießen und auf diesem Grundstück da draußen verscharren lassen. Was meinen Sie— wie lange wird es dauern, bis jemand die Leiche entdeckt?«
»Ich weiß, daß es keinen Sinn hätte, wenn ich irgendwelche Entschuldigungen vorbrächte …«
»Überhaupt keinen. Und ich habe noch nicht von Ihnen gehört, ob die Kähne mit ihrer wichtigen Fracht in Passau eingetroffen sind.«
Martin mußte warten – eine Ewigkeit, wie ihm schien. Der Hubschrauber auf dem Grundstück war gestartet, und sein Motor machte einen infernalischen Lärm. Dann hob er ab und verschwand hinter den Bäumen.
»Was wollten Sie gerade sagen?« erkundigte sich Walvis freundlich.
»Als ich in Passau ankam, war eine weitere Katastrophe passiert«, sagte Martin ohne alle Umschweife, weil er am Ende seiner Nervenkräfte war. »Die Kähne liegen auf dem Grund der Donau. Es war das Werk von Saboteuren, die über die Wachleute herfielen und Sprengstoff benutzten.«
»Das Werk von Saboteuren?« Walvis lächelte verkniffen. »Ich nehme an, Sie meinen, das Werk von Tweeds Leuten – genau wie in Grafenau. Tweed!« brüllte er plötzlich und sprang auf. Dann wanderte er langsam im Zimmer herum, um sich wieder zu beruhigen. »Er sollte wirklich die Bekanntschaft von Teardrop machen.«
»Teardrop?« wiederholte Martin verblüfft.
»Ja. Vielleicht sollten Sie sie auch kennenlernen. Es wäre gut für Ihre Gesundheit – auf jeden Fall für meine.« Er begann so gelassen und so leise zu reden, daß Martin kaum hören konnte, was er sagte.
»Wir haben zwei schwere Rückschläge einstecken müssen.«
Walvis sprach seine Gedanken laut aus, und Martin hütete sich, etwas zu sagen. »Eine derartige Situation ist ein Prüfstein für die Charakterstärke eines Mannes. Wir werden einfach unsere Pläne ändern, das Unerwartete tun, einen entscheidenden Schritt unternehmen, der den Menschen schon allein durch seine Kühnheit den Atem rauben wird – und danach wird es zu spät sein, als daß irgend jemand mir noch Einhalt gebieten könnte. Ich habe entschieden, was wir unternehmen werden …«
Tweed und die Mitglieder seines Teams hatten, an verschiedenen Tischen sitzend, gerade ein ausgiebiges Mittagessen zu sich genommen, als Tweed von einem Pagen eine Nachricht überbracht wurde. Die Anspannung des Vormittags begann nachzulassen, und es wurde gelacht und gescherzt.
Tweeds Miene war ausdruckslos, als er die Nachricht las – eine Spur zu ausdruckslos, dachte Paula. Der Text war kurz.
›Können wir uns in Ihrer Suite sehen? Es ist dringend. Philip.‹
Jill Seiborne erschien und kam an ihren Tisch, als er gerade aufstehen wollte. Ein Kellner folgte ihr mit einem Kübel, in dem eine Flasche Champagner stand. Sie setzte sich und sah Tweed an, nachdem sie Paula zugenickt hatte.
»Ein Friedensangebot. Ich war heute morgen beim Frühstück ziemlich grob. Ich hoffe, Sie mögen beide ein Glas Champagner.«
Paula zögerte. Sie wartete auf Tweeds Reaktion, fragte sich, was auf dem Zettel gestanden haben mochte. Tweed schien einen Moment unentschlossen, dann richtete er sich auf und lächelte Jill an.
»Was für eine nette Geste. Und wir lieben Champagner …«
Der Kellner hatte Gläser vor sie hingestellt, und jetzt öffnete er die Flasche. Tweed sah Jill an, was nicht weiter schwierig war, da sie ständig Blickkontakt mit ihm hielt. Er glaubte nicht eine Sekunde, daß sie nur aufgetaucht war, um Champagner mit ihnen zu trinken. Er war sicher, daß noch etwas anderes dahintersteckte.
Sie erhoben ihre Gläser, stießen miteinander an, tranken. Als Jill ihr Glas absetzte, schwenkte sie eine Hand und sprach.
»An meinen Dirigenten bin ich immer noch nicht herangekommen, aber das stört mich jetzt nicht mehr. Ich bin hinter einem größeren Fisch her, einem viel größeren.«
»Hat der Fisch einen Namen?« fragte Tweed, der wußte, daß das von ihm erwartet wurde.
»Ich habe Gerüchte gehört, denen zufolge Gabriel March Walvis in der Stadt ist. Das wäre ein wirklicher Knüller – ein Interview mit ihm. Er hat sich noch nie von jemandem interviewen lassen. Ich weiß, daß es vier verschiedene Fotos von ihm gibt, die in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind. Sie zeigen alle andere Männer.«
»Woher wissen Sie das
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