Kalte Wut
Philip über ein außerordentlich feines Gehör. Er stand hinter der geschlossenen Bronzetür und lauschte. Es war nichts zu hören.
Sie mußten sich in einem der unteren Stockwerke befinden. Er brauchte eine Art Waffe. Zu Beginn seiner Ausbildung in dem großen Haus in der Nähe von Send in Surrey hatte sein Lehrer eines immer wieder betont. »Wenn Sie in einer Klemme stecken, Cardon, findet sich immer etwas, das Sie als Waffe benutzen können. Schauen Sie sich einfach um …«
Philip ließ den Blick langsam über das Büro schweifen. Seine Augen hatten sich inzwischen an die von der Flurbeleuchtung auf dem Korridor nur schwach erhellte Dunkelheit gewöhnt. Auf dem Schreibtisch stand ein marmornes Tintenfaß, und daneben lag ein altmodisches Rundlineal aus Ebenholz. Er hatte wieder seine Lederhandschuhe angezogen, und als er das Zimmer verließ, hielt er das schwere Lineal in der Hand.
Er stieg vorsichtig die Treppe hinunter und blieb an jeder Ecke stehen, um zu lauschen. Er hatte den achten Stock erreicht und befand sich auf der dritten Stufe oberhalb des Korridors, als ein uniformierter Wachmann um eine Ecke herumkam. Es war eine Überraschung für beide Männer, aber Philips Reflexe waren schneller. Als der Wachmann nach der Waffe in seinem Lederholster griff, sprang Philip die letzten drei Stufen hinunter und schwang dabei das Lineal wie einen Schlagstock. Er ließ es mit aller Kraft auf den Schädel des Mannes niedersausen.
Der Wachmann grunzte und sackte zusammen. Philip packte ihn und zerrte ihn ein Stück die Treppe hinauf. Er lehnte den bewußtlosen Mann gegen die Treppenwange, außer Sichtweite, sofern nicht jemand vorbeikam und hochschaute. Binnen Sekunden hatte er die Klappe des Holsters aufgeknöpft und die Waffe herausgezogen. Eine 7.65 mm Walther mit einem Magazin, das acht Patronen enthielt. Seine Lieblingswaffe.
Er holte das Magazin heraus, vergewisserte sich, daß es voll war, und rammte es wieder in den Kolben. Jetzt kam er sich nicht mehr so nackt vor. Er machte den Suchtrupp im siebenten Stock ausfindig und sah, wie der Mann mit dem roten Gesicht, der Martin hieß, in einem der Büros verschwand. Er lauschte kurz, bewegte sich lautlos an den Fahrstuhltüren vorbei und hinunter ins nächste Stockwerk. Sie hatten den taktischen Fehler begangen, keinen Wachposten mit gezogener Waffe und dem Rücken zur Wand zu postieren, damit er den ersten Abschnitt dieses Teils der Treppe überblicken konnte. Gut zu wissen, daß auch die Organisation des Mannes mit der kehligen Stimme nicht perfekt war.
Er ging weiter, bewegte sich mit äußerster Vorsicht, begegnete aber niemandem und hörte keinerlei Geräusche. Inzwischen hatte er Hie ins Erdgeschoß führende Treppe erreicht. Nur noch ein paar Stufen, dann würde er aus dem Gebäude entkommen können.
Er lugte um die Ecke des untersten Absatzes, schaute rasch in beide Richtungen. Nichts. Niemand. Merkwürdig. Es wäre doch die naheliegendste Vorsichtsmaßnahme gewesen, eine Wache am Ausgang zu postieren. Ihm war unbehaglich zumute, als er sich der auf die Arkade hinausführenden Doppeltür näherte. Irgendein sechster Sinn, vielleicht spürte er die Luftbewegung. Er schaute nach rechts, und ein Schäferhund sprang, mit lautlos gebleckten Zähnen auf seine Kehle zielend, durch die Luft. Die Reaktion der meisten Männer wäre gewesen, den Hund zu erschießen, aber Philip wußte, daß der Knall eines Schusses sein Entkommen unmöglich gemacht hätte. Instinktiv holte er mit dem Ebenholzlineal aus und ließ es mit derartiger Gewalt auf den Kopf den Hundes niedersausen, daß er die starke Vibration den ganzen Arm hinauf spürte.
Der Hund drehte sich in der Luft, prallte auf den Boden, lag still. Fünf Minuten später, nachdem er die Tür und das Gittertor dahinter aufgeschlossen hatte – die Alarmanlage war immer noch außer Betrieb –, ging er die Straße hinunter und kehrte auf Umwegen zum Hotel Platzl in der Altstadt zurück.
Es war immer noch dunkel, als er sein Zimmer betrat und auf die Bettkante sackte. Er erinnerte sich laut an seine nächste Aufgabe.
»Morgen früh muß ich mich mit Bob Newman in Verbindung setzen und herausfinden, wo ich diesen Ziggy Palewski finden kann. Bob weiß mehr als jeder andere über Reporter und Journalisten. Und vielleicht hat er auch schon einmal von dieser mysteriösen Frau gehört, die sich Teardrop nennt …«
5
Paula, Tweed und Newman frühstückten in dem großen, L–förmigen Speisesaal des Dolphin and
Weitere Kostenlose Bücher