Kalteis
Geglaubt habe ich, dass alles zwischen uns doch noch gut werden wird. So gegen halb zehn waren wir daheim. Ich war so müde, vom Laufen in der kalten Luft. Ausgezogen habe ich mich und bin gleich ins Bett. Er möchte noch ein Bier trinken, halte es hier zu Hause noch nicht aus. Zog sich Jacke und Mantel wieder an und ist raus. Es war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.
Sonntag
Am Sonntagmorgen vor dem Kirchgang stellt die alte Bösl Kathie einen Hafen mit Malzkaffee hin. »Da, trink. Bist vheut den ganzen Tag allein in der Wohnung. Nach der Kirche geh ich mit den Kindern rüber nach Haidhausen. Verwandte besuchen. Die Anna wird schon kommen und dich abholen.«
So sitzt Kathie ganz alleine am Küchentisch, trinkt ihren Kaffee, hängt ihren Gedanken nach. Sie steht auf, geht hinüber zum Fenster und schaut hinaus. Stund um Stund, als sie es schier gar nicht mehr aushält, geht sie in die Kammer, legt sich mit den Kleidern aufs Bett. Schließt die Augen und wartet, wartet auf Anna, dass diese in die Ickstatt- straße kommt und sie abholt. Und während sie daliegt, merkt sie gar nicht, wie sie immer müder wird, und irgendwann schläft sie ein.
In ihrem Traum fallen Schneeflocken langsam aus dem nachtschwarzen Himmel. Kleine, hell leuchtende Punkte tanzen herab. Kathie, wieder ein kleines Kind, sieht hoch zum Himmel, den Kopf ganz weit in den Nacken zurückgelehnt. Fast schon rutscht die wollene Mütze vom Kopf. Sie sieht die hellen Punkte fallen, spürt die kalten Flocken im Gesicht, ganz weit öffnet sie den Mund und versucht mit dem geöffneten Mund die vom Himmel fallenden Flocken zu fangen, diese schmelzen vom warmen Atem des Mädchens, noch ehe sie die Zunge berühren. Kathie streckt die behandschuhten Hände nach den Flocken aus. Sieht sie, Sternen gleich, auf den wollenen Fäustlingen. Sie spürt die Hand auf ihrer Schulter, groß und schwer. Hört die Stimme der Großmutter ganz nah an ihrem Ohr, flüsternd, heiser. »Komm, Kathie, wir gehen jetzt heim.« Stapft an der Hand der Großmutter durch den Schnee nach Hause.
Dort teilte sie sich Kammer und Bett mit der alten Frau. Die Kammer, zugig und klein, nur durch eine dünne Bretterwand vom übrigen Dachboden getrennt. Auf den Scheiben des Fensters wuchsen Eisblumen vom Atem der Schläfer. Im Winter fielen in manchen stürmischen Nächten kleine Schneeflocken durch das schlecht isolierte Dach. Fielen herab, blieben liegen auf den hölzernen Dielenbrettern, ohne zu schmelzen. Das waren die Nächte, die Kathie mochte. Sie legte sich dann immer ganz nahe an die Großmutter heran. Spürte den warmen Körper der alten Frau und schloss die Augen, lauschte den Geschichten der Alten. Endlosen Geschichten von Geistern und Nachtmahren, von Engeln und Wundern. Geborgen fühlte sie sich, wenn sie den warmen Körper ganz nah neben sich spürte. Geborgen und warm, selbst jetzt noch im Traum.
Knochig war der Körper im Alter geworden. Von der vielen Arbeit und dem Leben voller Entbehrung. Zehn Kinder hatte die Großmutter geboren. Alles Buben. Vier davon sah sie aufwachsen. Die anderen sind ihr gestorben, manche gleich bei der Geburt, andere ehe sie laufen lernten. War doch die Not ihr ständiger Begleiter. Der Vater der Kathie, er ist der Erstgeborene. Er wohnt jetzt mit seiner Familie in dem kleinen Häuschen. Die alte Frau war im Austrag in die Dachkammer gezogen. Kathie hatte sich das Bett mit ihr geteilt, so lange sie denken konnte. Viel zu früh kam sie zur Welt, die Kathie. Ein Frühchen, ein Buzerl, nicht einmal so groß wie ein Maßkrug ist sie gewesen, hat die Großmutter ihr erzählt. Da legte sie den kleinen Wurm zu sich ins Bett und hat ihn gewärmt und so ist es geblieben. In manchen Nächten schnaufte und hustete die Großmutter, so dass Ka thie wach dalag und nicht einschlafen konnte. Sie wollte aber dennoch nie aus der Kammer ausziehen. Sie konnte und wollte sich nicht vorstellen, sich das Bett nicht mit der alten Frau zu teilen, war sie doch die Einzige, die nicht kalt und abweisend war in der Familie. Die Mutter immer unterwegs mit ihrem Hausierhandel. Der Vater mürrisch und griesgrämig, wenn er nicht gar betrunken aus der Wirtschaft nach Hause kam. Oft fiel er dann hin im Flur, blieb liegen in seinem Rausch. Den wenigen Grund hatte er nach und nach verkauft. Das Geld versoffen oder verspielt. Wäre da nicht das Einkommen aus dem Hausierhandel, sie hätten auch das Häuschen längst verkaufen müssen. Wären »auf Gant gekommen«, wie die
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