Kalteis
Alte oft schimpfte.
Die Großmutter wärmte sie und Kathie fühlte sich wohl. Aber es gab auch Nächte, in denen sie Angst hatte vor der alten Frau. Dann, wenn Kathie in den Vollmondnächten die Augen aufmachte und die Alte mit ihrem Gesicht ganz nah an sie heranrückte. Durch das fahle Licht und die Schatten sah es aus, als ob die Alte sie aus großen Augen anstarrte. Den Blick auf das Mädchen gerichtet. Durch das vom Fenster hereinfallende Mondlicht hatte der greise, zahnlose Schädel etwas Unheimliches. Es sah aus, als schliefe die Großmutter mit offenen Augen. Voller Angst saß Kathie da, starrte die Großmutter an, bis sie es nicht mehr aushielt und allen Mut zusammennahm. Sie schüttelte die Alte, damit diese wach wurde, schüttelte sie mit beiden Händen. »Großmutter, wach auf!«, rief sie dann, »Großmutter, wach auf, ich habe Angst vor dir!«
Einmal, in einer dieser Vollmondnächte, saß die Großmutter gar am Fenster. Sie saß da, nur mit dem Nachtgewand und der Strickjoppe, und starrte den Mond an. Kathie in ihrem Bett, voller Angst zusammengekauert, starrte immer nur auf die Alte, nicht wissend was sie jetzt tun sollte. Als sie der Mutter davon erzählte, meinte die nur: »Lass sie in Ruhe. Sie wird schon ins Bett gehen, wenn ihr kalt ist. Sie ist zäh, wird sich nicht gleich den Tod holen.«
Eines Nachts im Dezember, da hat der Tod dann die Großmutter geholt. Vier Jahre ist es her. Am Abend ist Kathie zu ihr ins Bett geschlüpft. Der Körper der alten Frau, er ist ihr an diesem Abend noch knochiger vorgekommen als sonst. Ganz nah legte sich Kathie zu ihr, war es doch eine eisige Dezembernacht. Eine Raunacht. Noch im Einschlafen hörte sie die Großmutter husten und röcheln, hörte den schweren Atem. Es war schon fast Morgen, als Kathie erwachte. Kalt war ihr geworden, gefröstelt hatte sie, den Arm streckte sie hinüber zur Großmutter. Wollte näher an sie heranrutschen. Da erst merkte sie, wie seltsam kalt und starr diese im Bett gelegen ist. Auf den Atem hörte sie, aber so sehr sie auch lauschte, es war nichts zu hören. Ganz und gar still war es in der Kammer. Da stand Kathie auf, lief barfuß die Stiege hinunter zur Mutter. Die Mutter war es dann auch, die ihr gesagt hatte, dass die Alte tot ist. Was dann geschah, sie weiß es nicht mehr, nur dass sie sie sah, die Großmutter, wie diese in ihren besten Kleidern im Sarg lag. Und dass sie, Kathie, sich noch gewundert hat, warum die Großmutter denn keine Schuhe trug. Warum sie im Sarg die grauen Wollsocken anhatte und keine Schuhe. Ihr schwarzes Sonntagskleid, die Hände gefaltet über der Brust mit dem Rosenkranz, sah sie aus, als ob sie schliefe. Die grauen Wollsocken waren ihr in Erinnerung geblieben von diesem Tag und dass sie weg wollte aus dem Dorf. Weg und ein anderes Leben führen, ein anderes als es die Großmutter geführt hatte und als es die Mutter führt.
Und wieder spürt sie Hände auf ihrer Schulter, spürt sie groß und schwer. Erschrocken fährt sie hoch, sieht Anna erst, als diese sie ruft. Schon nach drei ist es und ganz fest schlief Kathie noch, als Anna ins Zimmer kam. Aufstehen soll sie schnell, eilig hat es die Anna, ganz pressant.
Zur Mitzi will sie mit der Kathie und danach noch auf die Wiesn.
»Bei so einem schönen Wetter, da macht es keinen Sinn, in der Stube zu hocken.«
Kathie, ganz verschlafen ist sie, aber dennoch froh, endlich aus der Wohnung herauszukommen. Wusste sie doch gar nicht, was sie den ganzen Tag machen sollte, so alleine in München. Den Mantel zog sie sich noch schnell an und die Schuhe, und gemeinsam mit Anna ist sie dann rüber zur Mitzi, an diesem schönen, lauen Spätsommertag. Die Luft war warm, so hat sie den Mantel nicht zugeknöpft, ließ ihn offen; den kleinen, blauen Hut auf dem Kopf, flaniert sie mit der Anna durch München. Zum Mariahilfplatz sind sie, da wohnt die Mitzi.
An jedem Schaufenster, an dem sie vorbeikommen, bleibt Kathie stehen, sieht hinein, nur um in den sich im Sonnenlicht spiegelnden Scheiben sich selbst zu sehen. Sich, mit dem offenen Mantel und dem kleinen, blauen Hut. Gleich neben dem Kolonialwarenladen, hinter der Kirche, wohnt die Mitzi. Kolonialwaren Rainbay steht über dem Laden. Kathie sieht sich das Schild genau an, liest es, ehe sie ins Haus gehen. Mitzi hat eine Küche und ein Schlafzimmer. Im Parterre. Gut gefällt der Kathie die Wohnung. Hell und mitten in der Stadt ist sie. Wie sie so dasitzt und darauf wartet, dass sich Mitzi fertig macht,
Weitere Kostenlose Bücher