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Kalteis

Kalteis

Titel: Kalteis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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sicher fühlte, hörte ich dieses Geräusch.
    Es war ein leises zischendes Geräusch. Kaum hörbar. Aber es kam aus dem Zimmer. Ich war mir sicher, es kam aus dem Zimmer, aus der Ecke neben dem Schlafzimmerschrank. Von mir nur durch die geöffnete Tür und wenige Schritte getrennt. Ich blieb stehen, hielt die Luft an, rührte mich nicht von der Stelle.  Ich traute mich nicht, auch nur einen einzigen Schritt weiterzugehen. Die ganze mühsam in Zaum gehaltene Furcht war durch das Geräusch, das unheimliche Geräusch wieder zurückgekehrt. Rückwärts bin ich, ohne auch nur einen Laut zu machen, langsam aus dem Zimmer hinaus. Rückwärts über den Flur. Die geöffnete Schlafzimmertür nicht aus den Augen lassend, griff ich nach meiner Tasche, die ich neben der Küchentür stehen gelassen hatte. Ohne einen Laut, angespannt ins Dunkel horchend, nahm ich die Tasche. Ging rückwärts auf die geöffnete Wohnungstür zu. Erst im Treppenhaus drehte ich mich um, rannte die Stiegen hinab, so schnell ich konnte. Rannte weiter, rannte bis zur Wohnung meiner Eltern. Erst dort wurde ich ruhig, fiel die Angst von mir ab.
    Wochenlang habe ich dann nichts mehr von ihm gehört oder gesehen, nachdem ich die Wohnung am 30. September verlassen hatte. Mit meinen Kindern wohnte ich in meiner alten Kammer, bei meinen Eltern. Anfang November ist er dann plötzlich dagestanden. Es hatte geklingelt, ich öffnete die Wohnungstür, und da stand er dann vor mir.  Elend sah er aus und er sagte, dass es ihm leid tue, das Ganze. Ich sollte doch die Scheidung zurücknehmen und mit den Kindern wieder nach Hause kommen. »Es hat doch so keinen Taug.« Und schlagen würde er mich, er würde es mir hoch und heilig versprechen, »schwören bei der Jungfrau Maria«, bestimmt nie mehr.
    Ich gebe zu, anfangs habe ich noch etwas gezögert. Wie er aber immer drängender auf mich einredete, ließ ich mich dann doch überreden. Wusste ich doch, dass ich mit den beiden Buben nicht auf Dauer in der Kammer bei meinen Eltern bleiben konnte. Und was ich noch keinem gesagt hatte, ich wusste, dass ich wieder schwanger war. So packte ich meine Sachen zusammen, setzte die Kinder in den Leiterwagen und bin zurück zu ihm, in unsere Wohnung gezogen.
    Das Buzerl, das Kind, habe ich dann ein paar Wochen später verloren. Ich kann nicht sagen, dass ich besonders traurig darüber gewesen war. So ist dem Wurm doch einiges erspart geblieben, habe ich mich getröstet.
    Anfang Februar 1939 wurde er krank. Die ganze zweite Woche im Februar war er von der Arbeit zu Hause geblieben. Sogar ein paar Tage im Bett hat er liegen müssen. Schikaniert hat er mich deswegen, kein gutes Wort hatte er für mich übrig, je länger er die Wohnung nicht verlassen konnte, umso schlimmer ist es geworden.  Unleidlich war er und unruhig, von Tag zu Tag mehr. Wie ein wildes Tier in seinem Käfig ist er in der Wohnung umhergelaufen.
    Als ich noch ein Kind war, da hatte mein Vater einen kleinen Rotfuchs mit nach Hause gebracht. Unten im Hof in einem kleinen Zwinger, da hatte er ihn eingesperrt. Ganz zutraulich war der. Als das Tier älter wurde, ist es immer rastlos in seinem Gefängnis auf und ab gelaufen. Auf und ab, auf und ab, immer wieder. Bissig wurde es und bösartig. Bis es schließlich eines Tages von meinem Vater erschlagen wurde.
    Genau an dieses Tier habe ich denken müssen, als ich ihn in der Wohnung auf und ab laufen sah. Auf und ab, immer wieder, wie der Fuchs. Mit dieser ständig wachsenden Unruhe.  Die Kinder, wenn sie ihm nicht sofort aus dem Weg gegangen sind, hat er angeschrien. Mit den Füßen hat er nach den Kleinen getreten.
    Am Faschingssamstag sagte er zu mir, er müsse raus, nichts könnte ihn mehr zu Hause halten. Raus müsse er und sich was suchen.  Was er damit meinte, es war mir egal, ich war seine groben Reden und Andeutungen leid. Hörte ihm kaum noch zu.
    Dass er mich dann ins Kino begleitete, das erstaunte mich schon. Sogar mit reingegangen ist er. Die Wochenschau haben wir uns angeschaut. Vor dem Hauptfilm sind wir dann raus. Ich war so müde und wollte den Film nicht mehr sehen, und die Kinder wollte ich auch nicht so lange alleine lassen.  Es war eine klare, kalte Winternacht. Zu den Sternen habe ich hochgesehen und der Himmel hat nur so gefunkelt. Wir sind nicht gleich nach Hause gegangen, nicht auf dem kürzesten Weg. Ein wenig sind wir noch ums Dorf herum, weil es doch ein so schöner Abend war. Gefreut hat es mich, dass er sich die Zeit genommen hat.

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