Kalteis
sieht sie sich um in der Wohnung. Richtet sich ein in Gedanken. Beschließt, so eine kleine Wohnung würde sie sich auch einmal nehmen. Wissen wollte sie von der Mitzi, wie teuer denn so eine Wohnung sei und was sie denn arbeiten würde, um sich so eine hübsche Bleibe leisten zu können?
Anna hat für die Mitzi geantwortet. »Von Stickereien lebt sie, die Mitzi. Aber vom Sticken alleine, da kannst du dir so eine Wohnung nicht leisten. Die, die bezahlt ihr Verlobter. Ein feiner Herr aus Gelsenkirchen. Einen kleinen Be trieb hat er und zweimal im Jahr kommt er nach München. Die Mitzi weiß schon, wie man es machen muss. Musst dir halt auch so einen Verlobten suchen, als Dienstmagd kannst dir so was nie leisten. Da musst jeden Pfennig fünfmal umdrehen. Und hier in München, da passt der Hans auf sie auf. Musst dich halt umschauen, vielleicht findest ja auch einen, der dir die Wohnung zahlt und auf dich aufpasst. Beim Hans hast ja gute Chancen und vielleicht findet sich noch was Besseres.« Und dabei hat sie der Mitzi zugeblinzelt und gelacht haben die beiden. Aber Kathie hatte schon verstanden und wer weiß, vielleicht würde sich das mit der Wohnung früher oder später ergeben. Gesehen hat sie sich auf jeden Fall schon in ihrer eigenen Wohnung. Endlich hätte sie dann Platz, nicht wie zu Hause.
»Was schaust denn so? Ein richtiges Geißgeschau hats aufgesetzt, die Kathie.« Die Stimmen und das Lachen haben sie zurückgeholt aus ihren Gedanken. Zurück in die Küche bei der Mitzi, an den Tisch mit der Wachstuchdecke. Auf dem Stuhl ihr gegenüber sitzt Anna und lacht sie immer noch an. »Komm, pack dich zusammen, wir besuchen die Gustl, der Mitzi ihre Schwester, in der Klinik, und danach, da gehen wir auf die Wiesn.«
So sind sie aufgebrochen, die Anna, die Kathie und die Mitzi, und in die Thalkirchnerstraße. Dermatologie ist an der Tür zur Abteilung gestanden. Kathie konnte sich nichts darunter vorstellen, den beiden anderen ist sie einfach nachgelaufen ins Zimmer zu der Gustl. Dort im Zimmer sind sie zu sechst gelegen. Die einzelnen Betten durch Vorhänge voneinander getrennt. Die meisten davon offen. Auch der Vorhang um das Bett der Gustl ist geöffnet. Ganz malade liegt die Schwester der Mitzi im Bett. Weiß, fast durchsichtig sieht sie aus und schwach. Das Haar ganz schütter und dünn, dabei ist sie doch noch eine junge Frau. Kathie schätzt sie noch nicht einmal auf Mitte zwanzig, auch wenn sie das Gesicht einer alten Frau hat. Über das Essen im Krankenhaus beschwert sie sich. Und darüber, dass die Ordensschwestern so streng sind, einen behandeln wie den letzten Dreck, die Betschwestern, wie sie sie abfällig nennt. Mitzi steckt ihr heimlich ein paar Zigaretten zu, fragt, wann und ob sie wieder vorbeikommen soll, und dann ist die Besuchszeit auch schon zu Ende. Kathie ist froh, wieder aus dem Krankenhaus ins Freie zu kommen, die Luft im Krankenzimmer hatte ihr fast den Atem genommen. Von der Thalkirchnerstraße sind sie gleich auf die Wiesn und dort ist es noch ein schöner Nachmittag geworden. Im Bierzelt sinds gewesen. Da haben sie dann ein paar Burschen kennengelernt, sich auch gleich auf eine Brotzeit einladen lassen, und bei den Schiffsschaukeln und den Schießbuden waren sie auch.
Gegen sieben dürfte es gewesen sein, wie sie beim Soller mit ihrer Begleitung angekommen sind. Beim Soller war’s, da hat ihr die Anna dann auch die Geschichte von der Mitzi ihrer Schwester erzählt. Dass die Gustl mit einem Künstler zusammen war. Einem bekannten Maler hier in München. Eine recht Hübsche sei sie gewesen, die Gustl, nicht so ein Elend, wie sie jetzt ist. Als Modell hats für den Künstler gearbeitet, als Muse, hätte sie immer gesagt. Bei dem Wort »Muse« hat Anna den Mund verzogen und es ganz spöttisch betont. Immer hoch her ist es gegangen bei den Feiern, die der feine Herr veranstaltet hat. So hat es die Gustl zumindest der Mitzi erzählt. Glauben würde Anna diesen Geschichten schon, auch wenn sie nie dabei gewesen ist, aber gehört hat sie schon einiges. Und die Mitzi hat ihr davon erzählt und die hatte es wieder von ihrer Schwester. Hier beim Soller, da hat sich die Gustl nie blicken lassen. Was hätte sie hier auch suchen sollen, verkehrte sie doch in ganz anderen Kreisen. Und die feine Künstlergesellschaft, die würde ein Fest nach dem anderen schmeißen. Feiern seien das gewesen, bei denen sei der Schampus nur so in Strömen geflossen. Geld hätten die anscheinend mehr als genug.
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