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Kalteis

Kalteis

Titel: Kalteis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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schon in Pension und seine Frau ist vor kurzem verstorben. So sitzt der halt meistens alleine rum, wie das halt so ist. Wir waren im Garten und haben Kaffee getrunken, denn wie gesagt, das Wetter war herrlich an diesem Tag. Seine Tochter, die ganz in der Nähe wohnt, hat uns extra einen Zwetschgenkuchen gebacken. Da hat man es schon aushalten können. Es wird so gegen vier Uhr gewesen sein, wie ich mich auf den Rückweg gemacht habe. Ich musste doch am Abend in den Luftschutzkurs, als Referent, und die Unterlagen, die mir der Zimmermann gegeben hatte, die wollte ich auch noch durchlesen.
    Zurückgefahren nach Peißenberg bin ich deshalb auf der Staatsstraße. Es dürfte so beim Kilometerstein 50 gewesen sein, als ich die Frau gesehen habe. Wenige Meter vor mir lag sie, quer über den Baumstümpfen, die auf der rechten Seite der Fahrbahn gelagert waren. Ich musste gar nicht von meinem Fahrrad absteigen, um zu sehen, dass das Mädchen völlig erschöpft war.  Da kenn ich mich aus, war ich doch im Krieg in einer Sanitätseinheit, deshalb kann ich diesen Zustand so gut beurteilen. Ich weiß nicht mehr, wie viele Menschen ich während dieser Zeit in einem solchen Erschöpfungszustand gesehen habe. Es müssen Dutzende gewesen sein, wenn nicht Hunderte. Neben dem Mädchen lag ihr Fahrrad am Straßenrand. Ich nahm an, dass es ihr Fahrrad war, da weit und breit keine weitere Person zu sehen war. Auf dem Gepäckträger des Fahrrads, da war ein Karton. Ich denke, er dürfte so 45 Zentimeter lang und 30 Zentimeter hoch gewesen sein. An den Karton kann ich mich deshalb erinnern, weil ich mich noch gewundert habe, dass er nicht aus dem Gepäckträger gerutscht ist, als sie das Rad ins Gras fallen hat lassen. Welche Farbe er hatte, daran kann ich mich nicht mehr erinnern, nur daran, den Karton auf dem Gepäckträger eingeklemmt gesehen zu haben.
    Ich bin dann von meinem Fahrrad abgestiegen und rüber zu dem Mädchen. »Kann ich Ihnen helfen? Ist Ihnen schlecht? Kann ich was für Sie tun?«, habe ich sie gefragt. »Nein danke, es ist alles in Ordnung. Ich fühle mich nur furchtbar müde«, hat sie mir geantwortet.  Ich habe sie noch gefragt, ob sie gestürzt sei oder einen Unfall gehabt hätte. Aber sie hat jede Hilfe abgelehnt. »Nein danke, es ist sehr nett von Ihnen, aber wirklich nicht nötig. Ich bin nicht gestürzt. Nur unglaublich müde.«
    Aber was hätten Sie gemacht, so wollte und konnte ich das Mädchen nicht alleine lassen, in dem Zustand, in dem sie war. Deshalb habe ich mich auch danach erkundigt, woher sie denn käme. »Aus Steingarden.« Ob sie denn direkt aus Steingarden komme? »Nein, aus Füssen«, gab sie mir zur Antwort.
    »Ja, um Gottes willen, das sind ja an die 55 Kilometer, die Sie heute schon geradelt sind, und wo wollen Sie denn dann heute noch hin?«
    »Nach Starnberg.«
    »Das können Sie in Ihrem augenblicklichen Zustand unmöglich schaffen. Bis nach Starnberg sind es von hier noch an die 30 Kilometer, wenn nicht gar 35. Sie müssen etwas trinken. Haben Sie etwas zum Trinken dabei?«
    »Nein.«
    »Sie müssen was trinken, mein Kind, und etwas essen. So ein Persönchen wie Sie sind.«
    Sagen Sie ehrlich, ich konnte sie doch nicht in diesem Zustand alleine zurücklassen. Nicht in diesem Zustand, einfach so am Straßenrand. Überredet habe ich sie deshalb,  sich ein Stück von mir begleiten zu lassen. Ich habe ihr Rad aufgehoben und wir haben dann die Fahrräder neben uns her geschoben. Aufsteigen habe ich sie nicht lassen, so erschöpft wie sie war. So bin ich mit ihr die Abkürzung durch den Wald gegangen. Wie wir wieder auf die alte Staatsstraße gekommen sind, war sie bereits soweit bei Kräften, dass sie auf ihr Fahrrad aufsteigen konnte. Gemeinsam sind wir dann nach Peißenberg hereingefahren. Unterwegs habe ich mich mit ihr unterhalten. Sie erzählte mir, dass sie sich in München eine Stelle suchen wolle. Eigentlich käme sie aus Unterellegg, das läge bei Sonthofen im Allgäu. !n München habe sie eine Schwester, die bereits verheiratet sei, die wohne in Sendling, und eine weitere Schwester, die erst vor kurzem nach München gezogen war und demnächst heirate. Beide Schwestern wolle sie bei dieser Gelegenheit auch gleich besuchen. Der einen müsse sie das Fahrrad vorbeibringen, das gehöre ihr nämlich. Darum wäre sie auch mit dem Rad unterwegs und nicht mit der Bahn, weil sie das Rad doch der Schwester nach München bringen will. Und bei der Hochzeit der jüngeren Schwester, da will sie

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