Kalteis
auch dabei sein. Ihre Mutter käme auch zu der Hochzeit nach München, und sie würde sich dort mit ihr treffen.
Auf meinen Einwand, es wäre schon vernünftiger gewesen, mit der Bahn zu fahren und das Fahrrad als Gepäckstück einfach mitzubefördern, meinte sie nur, »die Bahn kann ich mir beim besten Willen nicht leisten, da hätte ich mir das Geld leihen müssen. Alleine oder mit dem Rad. Außerdem bin ich schon einmal nach München mit dem Fahrrad, und so hat es sich ganz gut getroffen, dass ich mit dem Fahrrad meiner Schwester hierherfahren konnte. Hätte mich bei Steingarden nicht dieser ekelhafte Kerl auf dem Rad verfolgt, wäre ich auch nicht so außer Atem. Die ganze Zeit ist er neben mir hergefahren. Dauernd hat er versucht, mir unter den Rock zu schauen. Angst hatte ich, der zieht mich gleich vom Radl runter. Aber das hätte er nur versuchen sollen. Wie eine Närrische bin ich in die Pedale getreten und so lange geradelt, bis ich mir sicher war, der kommt nicht mehr hinter mir her.«
Wie wir in Peißenberg waren, da habe ich ihr schließlich angeboten, sie könne mit zu mir in die Wohnung kommen. Sich ein bisschen frisch machen und übernachten, wenn sie möchte. Es wäre sicher besser, wenn sie sich ausruhen würde. Sie hat es aber abgelehnt, weil sie heute noch unbedingt bis nach Starnberg weiterradeln wollte.
Leid hat sie mir getan und so hab ich ihr dann zehn Pfennig für den Bäcker gegeben. »Wenn ich sonst schon nichts für Sie tun kann«, hab ich zu ihr gesagt. Das Zehnerl hat sie auch recht dankbar angenommen. Sie ist in den Laden rein und ich hab mit den Rädern vor der Ladentür auf sie gewartet. Wie sie aus dem Laden heraußen war, hat sie mich gefragt, ob ich ihr nochmals etwas leihen könnte, sie würde sich gerne etwas Wurst vom Metzger dazukaufen. Da hab ich ihr noch einmal 35 Pfennige gegeben, für etwas Aufschnitt. Sie hätte noch nie einen so hilfsbereiten Menschen wie mich getroffen und wüsste gar nicht, wie sie mir danken könnte. Wieder habe ich sie gefragt, ob sie es sich nicht doch anders überlegt hätte? »Mein Angebot steht nach wie vor, Sie können jederzeit bei mir übernachten.« Aber auch diesmal hat sie mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, dass sie unbedingt weiter möchte. Die 35 km würde sie schon schaffen nach dieser Stärkung.
Wir sind dann noch ein Stück gemeinsam gegangen, vor meiner Wohnung habe ich mich von ihr verabschiedet. Ich bin kurze Zeit vor der Tür stehen geblieben und habe ihr nachgesehen, wie sie mit ihrem Rad weitergefahren ist. Danach bin ich hoch in meine Wohnung. Es war bestimmt schon kurz vor sechs und ich musste mir die Unterlagen für mein Referat durchlesen. War schon spät dran.
Wie sie ausgesehen hat? Ich weiß mit Sicherheit, sie hat te so einen grünen Gummimantel an und ein Dirndlkleid. Und die Haare? Sie hatte so eine Bubikopf-Frisur. Hat recht gut zu ihrem schmalen Gesicht gepasst. Insgesamt würde ich sagen, ein hübsches Mädchen.
*
Es war schon ziemlich spät geworden. Sie hatte den Weg nach München nicht als so lange in Erinnerung. Die gleiche Strecke schien ihr damals vor fünf Jahren viel kürzer gewesen zu sein. Hatte sie sich so geirrt? Und so erschöpft und müde wie heute war sie auch nicht gewesen. Gut, wäre ihr nicht dieser Kerl in Steingarden nachgefahren, dann hätte sie sich ihre Kräfte viel besser einteilen können. So aber ist sie geradelt, als ob der Teufel hinter ihr her wäre und kurz vor Peißenberg, da hatte sie einfach nicht mehr gekonnt. Schwarz ist ihr vor Augen geworden und mit dem Schnaufen ist sie auch nicht mehr mitgekommen. Die Luft ist ihr einfach weggeblieben. Gegessen hatte sie schließlich den ganzen Tag auch noch nicht. Erschöpft war sie und so hat sie sich auf die Baumstämme am Straßenrand in die Sonne gesetzt. Aber selbst das Sitzen war ihr nach einer Zeit zu anstrengend, da hat sie sich einfach hingelegt. Es hätte nicht viel gefehlt und sie wäre eingeschlafen. So müde war sie, hatte die Augen geschlossen und nur noch auf ihren Atem gehört.
In Füssen bei der Tante hatte sie die letzte Nacht geschlafen. Gleich nach der Morgensuppe ist sie losgeradelt, um sechs in der Früh. Zwei Mark hat sie sich noch geliehen für unterwegs, aber schließlich doch nichts zum Essen dafür gekauft. Wie sie so dalag und langsam wieder zu Atem kam, da hatte sie den Mann gar nicht bemerkt. Und wie er sie dann ansprach, so plötzlich und unvermittelt, ist sie im ersten Augenblick richtig erschrocken.
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