Kalteis
vergisst häufiger, das Licht im Keller zu löschen, wenn sie etwas nach oben holt. Meist liegen sie sich dann deswegen in den Haaren. Ich muss zugeben, ich habe ihr nicht richtig zugehört. Ich war mit meinen Gedanken woanders und ich bin diese Zwistigkeiten leid, wenn ich aufrichtig bin. Ich finde sie kindisch, wie zwei kleine Kinder, die im Sandkasten um ein Spielzeug streiten. Meine Frau hingegen nimmt sich diese Auseinandersetzungen manchmal sehr zu Herzen. Ich gab ihr den Rat, sich nicht darauf einzulassen, aber wie gesagt, sie hat ihren eigenen Kopf. Diese kleine Reiberei war auch der Grund, warum Marlis an diesem Morgen Richtung Starnberg fahren wollte. »Ich hab mich so aufgeregt, ich will ein bisschen raus!«, hat sie zu mir gesagt. Ich war nicht besonders froh darüber, dass sie alleine nach Starnberg rausfahren wollte. Mir wäre es lieber gewesen, sie wäre in der Stadt geblieben. Ich versuchte noch, sie davon abzubringen. Wir könnten doch am Samstagnachmittag den Ausflug unternehmen oder am Sonntag, da hätten wir doch auch den ganzen Tag Zeit. Nur für uns, und es würde bestimmt viel schöner sein, zu zweit hinaus nach Starnberg zu fahren. Aber meine Frau hat ihren Sturschädel und ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen.
»Dummkopf, ich kann schon selbst auf mich aufpassen. Ich bin eine erwachsene Frau. Werd bloß nicht wie mein Vater. Ich warne dich!«, sagte sie lachend und küsste mich auf die Stirn. Zwischen Tür und Angel drehte sie sich noch einmal zu mir um und meinte: »Ich bin froh, wenn wir endlich in unserer eigenen Wohnung sind.« Sie wollte mich gegen sieben vom Laden abholen. »Wenn das Wetter so schön bleibt, könnten wir heute Abend doch noch in einen Biergarten gehen. Was meinst du?« Ich brachte sie vor die Tür. Sie gab mir noch einen Abschiedskuss, stieg auf ihr Rad und fuhr weg.
Um sieben Uhr habe ich dann vergeblich auf sie gewartet. Ich bin extra noch zwanzig Minuten länger als sonst im Geschäft geblieben. Wir hatten doch vereinbart, sie würde mich von dort abholen. So gegen zwanzig vor acht bin ich dann in die Wohnung ihrer Eltern. Ich hatte gehofft, sie wäre dort, da sie mich doch nicht vom Laden abgeholt hatte. War sie aber nicht. Als sie gegen zehn Uhr noch immer nicht zu Hause war, wussten wir nicht mehr, was wir tun sollten. Meine Schwiegereltern und ich waren in großer Sorge um sie. Wir hatten Angst, ihr sei etwas zugestoßen. Gemeinsam mit meinem Schwiegervater bin ich dann auf die Polizeistation gegangen und habe eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Meine Schwiegermutter blieb zu Hause in der Hoffnung, Marlis würde doch noch nach Hause kommen.
Ich kann mir beim besten Willen nicht erklären, wo sie ist. Es muss ihr etwas passiert sein. Der Polizeibeamte auf der Wache hatte mich gefragt, ob meine Frau sich auch eventuell etwas angetan haben könnte. Ich kann mir das nicht vorstellen. Gut, sie nahm sich die Zwistigkeiten zu Herzen, aber doch nicht so sehr. Meine Frau ist eine lebensfrohe, muntere, intelligente Person. Sie ist an vielen Dingen interessiert. Sie malt, treibt viel und gerne Sport. An Pfingsten erst waren wir in Lenggries beim Bergwandern. Meine Frau liebt die Berge. Es war ein wunderschönes Wochenende. Wir haben auf der Kotalm übernachtet. Es war eine der schönsten Bergtouren, die wir je gemacht haben.
Einen Selbstmord, nein, einen Selbstmord schließe ich völlig aus. Es würde einfach nicht zu ihr passen. Nicht zu ihrem Naturell. Und welchen Grund hätte sie dafür? Keinen! Unsere Ehe ist sehr glücklich und harmonisch. Sie ist in gesicherten finanziellen Verhältnissen aufgewachsen. Sie hat nie auch nur einen Pfennig ihres eigenen Gehaltes abgeben müssen. Sie ist ja das einzige Kind meiner Schwiegereltern und beide waren bei ihrer Geburt schon etwas älter, hatten jede Hoffnung auf ein Kind schon fast aufgegeben, als sie zur Welt kam. Aus diesem Grund wurde sie von ihren Eltern behütet und verwöhnt. Sie hatte eine sehr glückliche, sorgenfreie Kindheit und Jugend. Nein, ich glaube nicht, dass sie sich etwas angetan hat.
Auch unser Verhältnis war immer sehr harmonisch. Wir sind sehr glücklich miteinander, seit ich sie vor eineinhalb Jahren in der Pinakothek, in der Barer Straße, kennengelernt habe. Wir waren beide in der Gemäldesammlung und da habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Ich bin ihr nämlich direkt in die Arme gelaufen. Ich hatte nicht aufgepasst und hab sie fast umgerannt. Mir war es peinlich, und sie hat
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