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Kalteis

Kalteis

Titel: Kalteis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrea Maria Schenkel
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nicht kannte. Radelte die halbe Nacht, bis er glaubte, genügend Abstand zwischen sich und die Tote gebracht zu haben. An einem Kanal blieb er stehen. Setzte das Fahrrad ab. Versuchte, es zu zerlegen.
    Keiner sollte mehr Interesse an dem kaputten Rad zeigen. Er nahm sich Zeit. Montierte die Räder vom Rad, trennte Mantel und Schlauch. Schnitt beides mit dem Messer in kleine Teile. Selbst die Speichen und das Kugellager entfernte er. Mit seinem ganzen Gewicht sprang er auf den Rahmen des am Boden liegenden Rades. Einmal, zweimal. Er kann nicht sagen wie oft.  Ihm kam es vor, als wehre sich das Rad, wie sich vorher seine Besitzerin gesträubt hatte. Dies spornte ihn an, steigerte seine Wut. Unbrauchbar wollte er es machen. Unbrauchbar wie der Körper, den er im Waldboden zurückgelassen hatte. Immer wieder trat er dagegen. Stampfte mit den Füßen gegen den Rahmen, sprang auf den Rahmen. Immer wieder. Hob es auf, schleuderte es auf den Boden zurück. Hob es erneut auf, warf es wieder zu Boden. Er merkte, wie ihm der Schweiß den Körper hinunterrann. Hörte nicht auf, das Fahrrad zu bearbeiten. Am Ende packte er das, was vom Rad übrig geblieben war, und warf es in den Kanal.
    Er blickte auf seine schmutzigen, blutverschmierten Hände. Bückte sich, wusch diese im kalten Wasser. Spürte, wie gut das Wasser seinen Händen tat. Wie gut es ihm tat. Er entkleidete sich, sprang hinein, tauchte unter im nachtschwarzen Wasser. Spürte, wie die Kühle ihn umschloss. Wie er langsam im dunklen Wasser ruhiger wurde, wie er zufrieden mit sich selbst, wie er glücklich war.  Zu Hause angekommen, zog er die schmutzigen, blutverschmierten Kleider aus. Legte sich nackt in sein Bett. Schloss die Augen. Sah das Mädchen noch einmal vor sich. Merkte, wie ihn der Gedanke an seine Tat aufs Neue erregte. Er tastete nach seinem Glied. Rieb daran, während er an das Mädchen dachte, Schritt für Schritt die Tat noch einmal beging, sie auskostete bis zum Ende. Bis er müde und erschöpft in einen tiefen Schlaf fiel.

Samstag
    Am Samstag sitzt Kathie beim Soller. Wie immer am selben Tisch. Von dort kann sie das Lokal überblicken. Den ganzen Abend lässt sie die Tür nicht aus den Augen. Ein jedes Mal, wenn die sich öffnet, erscheint es ihr, als bleibe ihr Herz für einen kurzen Augenblick stehen. Ein jedes Mal glaubt sie, jetzt kommt er durch die Tür herein, der Chauffeur, und von Mal zu Mal ist sie ein bisschen enttäuschter. Unzählige Male nimmt sie an diesem Tag die Fotografie aus der Tasche heraus. Hält das Bild in der Hand und sieht es immerzu an. Als würde die Kraft ihres Blicks alleine ausreichen, ihn hierher zu holen. Mit den Fingern streicht sie zärtlich über das Gesicht, sein Gesicht auf dem Bild. Fährt mit den Fingerspitzen über die Haare. Die dunkelblonden Haare, die er sich aus dem Gesicht nach hinten zur Seite gekämmt hat. Drückt es an sich, liebkost es.
    Einen Janker trägt der Chauffeur auf diesem Bild. Einen dunklen Janker und kurze Hosen. Kurze Sporthosen. Die Mütze in einer Hand haltend, so steht er vor der Korbinianskirche. Der Mitzi zeigt sie das Bild, genauso wie der Anna. Drückt das Bild wieder an sich, küsst es erneut. Unzählige Male. Wartet auf ihn den ganzen Tag.  Auch er, der Chauffeur, wartet. Will er sich doch noch einmal mit dem Mädchen treffen. Will sie anfassen, sie küssen, mit ihr schlafen. Gleich in aller Früh, nach dem Frühstück, ist er mit seiner Frau hinausgefahren zum Grundstück nach Waldperlach. Den ganzen Tag bringen sie dort zu. Arbeiten im Garten. Richten die Beete für den nahenden Winter her. Der Chauffeur sieht dabei immerzu heimlich auf seine Uhr. Seine Unruhe fällt seiner Frau auf. Was mit ihm los ist, will sie wissen.
    »Nichts Besonderes. Was soll schon los sein.« Nur den Stammtisch in seinem Verein, dem Fußballverein, den hat er heute ganz vergessen. Er muss heute da noch hin, ganz unangenehm wäre ihm das, diesen Stammtisch gerade heute zu versäumen. Zu seiner Überraschung will ihn seine Frau begleiten und so fahren sie am späten Nachmittag auch beide aus Waldperlach nach München zurück.  In der Wohnung findet er noch einen kurzen Augenblick Zeit, an Kathie zu schreiben. Einen Brief, in dem er ihr erklärt, warum er heute nicht wie verabredet kommen kann. Erfindet eine Geschichte, warum er verhindert ist. Nicht grämen soll sie sich, er würde so bald als möglich zum Soller kommen. Vielleicht schon morgen. Den Brief, den steckt er in die Jackentasche. Er

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